Praxisnahes Bewertungssystem für die digitale und grüne Transformation (Teil 2)
Ein Beitrag von Prof. (FH) Dr. Dr. Mario Situm, MBA, Lea Carnuth, M. A., und Selina-Maria Schiller, M. Sc.
Digitalisierung und grüne Transformation sind zwei wesentliche Trends, die den zukünftigen Fortbestand von Unternehmen in sämtlichen Teilbereichen der unternehmerischen Wertkette beeinflussen werden. Aus diesem Grund ist es für Unternehmer unabdingbar, die eigene Reife der digitalen und grünen Transformation zu bestimmen und daraus passende Ausgestaltungsmaßnahmen abzuleiten. Die Basis stellt dabei der Status quo hinsichtlich grüner und nachhaltiger Initiativen dar. Im Rahmen dieses Beitrags wird ein aus einem EU-Projekt entwickeltes und validiertes Bewertungssystem vorgestellt. Dieses können Ihre Mandanten in der betrieblichen Praxis einsetzen, um die digitale und grüne Transformation zu fördern.
→ ZUM 1. TEIL
III. Instrument zur Bewertung der eigenen Reife hinsichtlich digitaler und grüner Transformation
1. Bewertungsskala zur Ermittlung des Status quo
Insbesondere für Unternehmen, die sich mit der digitalen und grünen Transformation noch nicht eingehend auseinandergesetzt haben und somit am Anfang stehen, soll das in Übersicht 2 dargestellte Instrument einen hilfreichen ersten Überblick bieten. Die Übersicht stellt ausgewählte Bereiche des Geschäftsprozessmanagements dar, die durch digitale und grüne Transformation optimiert und gestärkt werden können.
Um Unternehmen zu erleichtern, ihren eigenen Status quo zu ermitteln, wurde die Bewertungsskala in Übersicht 3 entwickelt. Entlang der Wertschöpfungskette werden relevante Fragen in den beiden Transformationsbereichen gestellt. Sie laden zur Reflektion und Bewertung der Initiativen im eigenen Unternehmen ein und stellen somit die Basis für Optimierungsansätze dar. Ziel ist es, die einzelnen Fragen anhand einer Skala von 1 (wenig entwickelt) bis 4 (hoch entwickelt) ehrlich zu beantworten. Nach Beantwortung aller Fragen werden die Punkte addiert. Anhand der Summe kann das eigene Unternehmen in die drei Reife-Kategorien
-
-
- „Anfänglich“,
- „Entwickelnd“ oder
- „Fortgeschritten“
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eingeordnet werden. Daraus leiten sich im Anschluss zielgerichtete Handlungsempfehlungen zur digitalen und grünen Transformation ab.


Beginnende 0 bis 10 Punkte:
Die Initiativen und Ambitionen zur Digitalisierung sind bisher gering oder haben gerade erst begonnen. Es kommen wenige bis keine digitalen Tools und Prozesse zum Einsatz und die Abläufe sind hauptsächlich manuell sowie papierbasiert. Auch Nachhaltigkeitsinitiativen sind kaum vorhanden oder nicht etabliert. Umweltstandards und -zertifizierungen sind noch nicht integriert oder beachtet.
EMPFEHLUNG
Nutzen Sie Angebote zur Bewusstseinssteigerung in Ihrem Unternehmen in Form von Schulungen und Workshops. Beginnen Sie mit kleinen und überschaubaren digitalen Projekten, um erste Erfahrungen zu sammeln (z. B. Einführung einer einfachen Kundendatenbank). Starten Sie auch mit kleinen Schritten zur Reduktion von Umweltauswirkungen (z. B. Einführung eines Programms zur Minimierung von Lebensmittelabfällen in der Kantine).
Aufsteigende 11 bis 29 Punkte:
Sie haben erste Initiativen zur Digitalisierung in Ihrem Betrieb begonnen, die bereits Fortschritte zeigen. Einige digitale Tools und Plattformen werden genutzt, jedoch nicht umfassend integriert. Gleiches trifft auf Ansätze zur Automatisierung und Datenanalyse zu. Erste Nachhaltigkeitsinitiativen, Umweltstandards und -zertifizierungen sind implementiert und werden überwacht. Ihre Bemühungen zur Reduzierung von Umweltauswirkungen sind sichtbar, aber noch nicht ganzheitlich eingegliedert.
EMPFEHLUNG
Integrieren Sie bestehende digitale Tools und Plattformen weiter und vernetzen Sie Ihr Unternehmen. Nutzen Sie Schulungen, um Mitarbeitende weiterzubilden und um den Umgang mit neuen Technologien zu verbessern und zu verfestigen. Prüfen Sie bestehende Prozesse und Verfahren auf Nachhaltigkeit und optimieren Sie diese weiter (z. B. Implementierung eines Systems zur Überwachung und Optimierung des Energieverbrauchs von Produktionsanlagen). Beziehen Sie Ihre Mitarbeitenden aktiv bei Nachhaltigkeitsinitiativen und -programmen ein.
Fortschrittliche 30 bis 40 Punkte:
Sie besitzen umfangreiche und gut integrierte digitale Initiativen. Sie nutzen umfassende Datenanalyse-Tools zur Verbesserung der Effizienz und Entscheidungsfindung. Umweltstandards und -zertifizierungen sind vollständig in das Unternehmenssystem eingegliedert und werden regelmäßig überwacht.
EMPFEHLUNG
Investieren Sie in Forschung und Entwicklung neuer digitaler Technologien. Evaluieren Sie regelmäßig Ihre digitalen Strategien und Tools. Übernehmen Sie eine Vorreiterrolle hinsichtlich Initiativen zur Nachhaltigkeit und Digitalisierung und nutzen Sie diese Position, um Best-Practice-Beispiele zu präsentieren (z. B. Implementierung eines umfassenden Umweltmanagementsystems nach ISO 14001). Bauen Sie Ihre Partnerschaften mit anderen Unternehmen, Start-ups oder Interessensverbänden zur Förderung nachhaltiger und digitaler Praktiken und Innovationen aus (z. B. Kooperationen mit führenden Technologieanbietern zur Entwicklung neuer nachhaltiger Produkte).
2. Checkliste für Unternehmer
2.1 Kooperation und Partizipation
Binden Sie Ihre Mitarbeitenden frühzeitig bei der Bewertung der digitalen und grünen Reife mit ein! So profitieren nicht nur Sie von einer Arbeitsentlastung, sondern fördern unter Ihren Mitarbeitenden das Gefühl der Teilhabe an der digitalen und grünen Transformation. Damit legen Sie den Grundstein für die Akzeptanz bevorstehender Change-Prozesse.
2.2 Bestimmung einer Ansprechperson
Wie wäre es mit einer neuen Position als „Digital Transformation Manager“? Übergeben Sie den Auftrag und die Verantwortung für die Sammlung der Daten an einen Mitarbeitenden, idealerweise an eine digital affine und nachhaltigkeitsengagierte Person. Durch das Job Enrichment vermitteln Sie dieser Person Wertschätzung und stärken damit ihre Zufriedenheit sowie Bindung an das Unternehmen. Nebenbei sparen Sie deutlich Kosten im Vergleich zu externen Anbietern.
2.3 Verwendung für die Hausbank
Scheuen Sie sich nicht, die Bewertungsunterlagen auch Ihrer Bank zur Verfügung zu stellen. Damit zeigen Sie, dass Sie sich eingehend mit den Themen auseinandergesetzt haben. Dies ist wichtig, denn Digitalisierung und Nachhaltigkeit (im Sinne der ESG) spielen beim Unternehmensrating eine immer größere Rolle. Durch den Nachweis digitaler und nachhaltiger Initiativen und Ambitionen erhöhen Sie Ihre Chancen, für Ihre weiteren Transformationsmaßnahmen eine Finanzierung zu erhalten.
LITERATUR-TIPPS
Sander, Die ESG-Risiko-Scoring-Systeme der Kreditinstitute: Wie sie funktionieren und warum Sie Ihre Mandanten darauf vorbereiten sollten, NWB-BB 11/2024 S. 326
Sander, Die ESG-Risiko-Scoring-Systeme der Kreditinstitute: Individuelle Einflussmöglichkeiten von Unternehmen, NWB-BB 12/2024 S. 356
FAZIT
Die digitale und grüne Transformation ist wesentlicher Treiber für den zukünftigen und nachhaltigen Erfolg von Unternehmen. Durch systematische Integration digitaler Technologien und nachhaltiger Praktiken in die unternehmerische Wertkette können Unternehmen ihre Prozesse optimieren, ihre Effizienz steigern und ihre Marktposition verbessern. Das im Rahmen eines EU-Projekts entwickelte Bewertungsinstrument bietet eine einfache und praxisnahe Methode, um den aktuellen Stand und die Reife der digitalen und grünen Transformation eines Unternehmens zu bewerten.
Durch die Ermittlung des Reifegrades können Unternehmen gezielte Maßnahmen ableiten und ergreifen, um ihre Geschäftsmodelle nachhaltig und zukunftssicher zu gestalten. Dadurch werden nicht nur regulatorische Anforderungen erfüllt, sondern zugleich die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit im Unternehmen gefördert. Die Einbindung von Mitarbeitenden und Stakeholdern in den Transformationsprozess erhöht die Akzeptanz und Effektivität der Maßnahmen. Insgesamt wird deutlich, dass digitale und grüne Transformation kein isolierter Trend ist, sondern integraler Bestandteil einer erfolgreichen Unternehmensstrategie.
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Dies ist Teil 2 des Beitrages aus der NWB-BB Nr. 4/2025 Seite 125 - Hier finden Sie Teil 1.
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