Digitalisierung, Vorurteile & Märchen

Warum es mehr als nur das "magische Tool" braucht!?

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„Es kam die Zeit, in der die Steuer-Community die Digitalisierung entdeckte und die damit verbundenen Möglichkeiten erkannte. Die einen suchten nach dem magischen Tool, das alle Probleme löst, die anderen sahen die Gefahren und wollten diese durch neue Vorschriften bannen“.

Leider ist die Digitalisierung kein Märchen, weder so einfach mit einer klaren Botschaft, noch zwangsläufig immer mit einem Happy End oder eindeutig guten und schlechten Charakteren.

Digitalisierung bedeutet für mich aus meiner wirtschaftlichen Brille die massive Veränderung von Prozessen und Geschäften, die durch veränderte technologische Möglichkeiten ermöglicht wird.

Diese Definition ist zu flach und wird soziologischen und kulturellen Aspekten nicht gerecht, aber die Kernbotschaft ist, dass Technologie der Treiber, aber nicht das eigentlich Geänderte ist. Als Teil der Tax Community sollten wir uns daher fragen, was sich bei uns verändert, was wir verändern wollen und was nicht.

Wir Menschen neigen dazu, in Stereotypen zu verfallen. Wir suchen den Digital Native, die Älteren können den Wandel nicht vorantreiben, für die IT braucht man einen Informatiker, für das Steuerrecht einen Juristen, die Zahlen kommen aus der Buchhaltung etc.

Leider ist die Welt nicht so einfach und wird sie auch nie werden!
  • Veränderung
    Wir haben Veränderungen, auf die wir reagieren müssen, und wir haben Veränderungen, die wir vorantreiben sollten.
  • MenschenWir brauchen motivierte, lernwillige und lernfähige Menschen. Welche Etiketten, sie tragen, ist egal. Genauso sind das Alter und die Herkunft irrelevant, sondern eher hilfreich. Denn gemischt ist eigentlich besser.
  • TeamsDie Sachverhalte werden komplexer, die Zeitlinien enger. Warum glauben wir, dass eine Abteilung und Team allein die effizienteste Form sind? Wären nicht Matrixorganisationen mit gemischten Teams die Antwort?
  • Technology Es gibt kein Wundertool. Eine Technologie alleine trägt keinen Prozess, das Neueste ist nicht immer das Beste und „das Beste“ sollten wir einmal definieren. Wenn Tools „Tools“ sind, dann sind es Werkzeuge und man nimmt die richtigen in der richtigen Reihenfolge, um ein Problem zu lösen. Und auch häufig, dass was man hat oder bekommen kann.
  • Prozesse Steuerprozesse sind nicht immer Steuerprozesse. Die meisten Prozesse werden nicht durch die Steuerfunktion verantwortet und der Grad der Beeinflussung hängt von der Organisation, der Akzeptanz und den Möglichkeiten ab. Wenn wir über Prozesse sprechen, sollten wir uns dessen bewusst sein und die Prozesse kennen.
  • Experten Experten können Berater, Gestalter oder Teammitglieder sein. Es gibt Themen, die sind „hype“, das heißt, jeder will das machen. Fragen wir doch einmal laut: „Sind alle, die sprechen, Experten, brauchen wir zwangsläufig Experten, können/müssen wir Experten entwickeln?“ Die Einstellung eines Experten löst den Digitalisierungsstau ebenso wenig wie die Anschaffung eines Tools.
  • Steuerrecht ist LandesrechtMan muss alles länderspezifisch bauen - äh, warum? Ja, das Steuerrecht hat durch seinen Bezug zum Landesrecht lokale Besonderheiten. Aber muss man deshalb lokal denken? Macht dies auch unser Geschäft? Gibt es nicht Gemeinsamkeiten?
  • Steuerrecht ist speziellOk, was unterscheidet die Rechtsrecherche zwischen der Rechtsabteilung und der Steuerabteilung, was unterscheidet die prozessuale Abwicklung im Abschluss von Accounting, was unterscheidet die Kommunikationsmethodik von anderen Bereichen, etc. Das Steuerrecht hat spezielle Seiten, aber auch viele Gemeinsamkeiten. Man muss also nicht alles neu erfinden.

Man könnte die Liste der Beispiele beliebig weiterführen.

Wir brauchen einen Plan, aber so genau auch wieder nicht.

Planen ist ja angeblich die Stärke der Deutschen. Aber was planen wir? Budgets, Tool-Einführungen, Einstellungsstrategien. Aber machen wir auch eine Erhebung der notwendigen Fähigkeiten und der zur Ausprägung notwendigen Entwicklungsschritte (Menschen, Organisationen, Prozesse, Technologien)? Ich zitiere mal an dieser Stelle einen meiner liebsten Filmzitate „Hoffnung ist keine Strategie“. 

Aber warum schreibe ich das?

Als ich mit TaxTech angefangen habe, gab es das in dieser Form noch nicht. Inzwischen hat sich der Bereich enorm entwickelt. Die Akzeptanz und die Möglichkeiten sind gewachsen. Was ich aber noch selten sehe, ist ein strategischer, bereichsübergreifender Ansatz. Warum das so ist?

Ich habe aus eigener Erfahrung häufig erlebt, dass Komplexität abschreckt und sofort mit zu viel oder zu teuer assoziiert wird. Das Wort „Nein“ ist mir wohl bekannt.

Ich glaube aber, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Nach einer initialen Anlaufphase kann es zu mehr Synergie und besseren Ergebnissen führen. Und eine Planung kann auch auf Veränderungen, wie einen Umsatzeinbruch, C-Level-Wechsel und andere Faktoren reagieren.

Was braucht es dafür?

Aus meiner Sicht benötigt es weniger Vorurteile und mehr Offenheit. Mehr Gemeinsam als Getrennt. Mehr übergreifende Funktionen als Silos.

Damit es weniger politisch oder esoterisch wird, mal ein handfester Vorschlag:

👉 UNDERSTAND

Befragt die Verantwortlichen und die Teams: Welche Kompetenzen braucht ihr in 5 Jahren? Ob als „Post IT“-Workshop mit 4-Quadranten-Modellen oder im einfachen Gespräch, darf jeder selbst entscheiden. Fragt dieselben Personen nach den Prioritäten.

👉 REFLECT

Vergleicht die Anforderungen und identifiziert Gemeinsamkeiten.

👉 ALIGN
  • Sprecht mindestens mit den Bereichen Accounting, Controlling und Legal über deren Ziele und Anforderungen und was dort angegangen wird.
  • Sprecht mit der IT über die Strategie und Projekte.
  • Bildet Interessensgruppen und formiert Mitstreiter.
👉 PLAN

Danach das Ganze zusammenfügen.

  • Schafft eine zeitliche und inhaltliche Ordnung.
  • Lasst Dinge auch bewusst sein und sagt das.
  • Zielkonflikte wird es geben.
  • Änderungen werden kommen.
  • Redundanzen kann es geben.
👉 SELL

Beschreibt dann, was Ihr braucht und präsentiert es den Stakeholdern.

  • Erinnert Euch an oben: Menschen, Organisation, Prozesse, Technologien, mit den Folgen: Personalstrategie, Geld, Organisation, Ziele messen und erreichen.
  • Wichtig – Nicht alles ist ein Riesenprojekt.
  • Manchmal ist ein Schnellboot besser als ein Tanker im Hafen.
  • Seit beharrlich und von Eurer eigenen Idee überzeugt.
👉 EXECUTE & ADAPT

Die Art der Umsetzung, klassisch, agil oder hybrid, ist dabei der Organisation freigestellt, solange eine tatsächliche Umsetzung und Überwachung inklusive Anpassung erfolgt. Auch das "Wer" und "Wie" darf gerne selbst entschieden werden.

Was hat das alles mit Vorurteilen zu tun?

Wenn man so über Themen spricht, werden viele zustimmen. Wenn man dann konkret wird, hört man oft ähnliche Aussagen, die zum Teil auf einer vorgefassten, ungeprüften Meinung - oder nennen wir es Vorurteil - beruhen.

Unsere Aufgabe wird es sein, Vorurteile von Erfahrung zu trennen und auch die Erfahrung in einem gesunden Maß zu hinterfragen sowie die Komplexität nicht nur wertzuschätzen, sondern als notwendig und interessant anzusehen. Aber auch unnötige Komplexität zu reduzieren.

Tax Technology ist mehr als die Einführung eines Tools oder der Aufbau einer Low-Code- oder Full-Code-Lösung. Es ist eine organisatorische und prozessuale Herausforderung als Teil eines Ganzen. Habt Spaß daran! Ich habe es.

Und vielleicht, nur vielleicht, schaffen wir so tatsächlich unser eigenes Märchen - diesmal mit Happy End 😉

Euer
Heiko

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