Recap: LMUDigiTax Konferenz 2025

AI-Act in der Besteuerung: Zwischen Regulierung & Realität

Porträt des Autors vor grauem Hintergrund mit Logo der LMUDigiTax Konferenz Bild: @tax&bytes

Die Konferenz zur „Digitalisierung im Steuerrecht 2025“ des Zentrums für Digitalisierung des Steuerrechts an der LMU München (LMUDigiTax) widmete sich im ersten Themenblock am Vormittag des 8. Mai 2025 dem „AI-Act in der Besteuerung“. Zunächst wurden in drei Vorträgen aus der Sicht der Justiz, der Unternehmens- und Beratungspraxis sowie der öffentlichen Verwaltung zentrale Fragestellungen des AI Act (KI-Verordnung; KI-VO) allgemein und in Bezug auf die Besteuerung erörtert. Die Vorträge wie auch die anschließende Podiumsdiskussion haben gezeigt, dass im Hinblick auf den Einsatz von KI-Systemen im Steuerbereich ein differenzierter Blick auf Chancen, Herausforderungen und Regulierungslücken erforderlich ist.

A. AI-Act in der Justiz: Zwischen Regulierung und richterlicher Unabhängigkeit

Dr. Anke Morsch, Präsidentin des Finanzgerichts des Saarlandes und Vorstandsvorsitzende des Deutschen EDV-Gerichtstags (EDVGT), eröffnete den Themenblock mit einem eindrucksvollen Vortrag über die Bedeutung des AI Acts im Bereich der Justiz. Am Beispiel international aufsehenerregender Vorfälle wie dem British Post Office-Skandal oder der Kindergeldaffäre in den Niederlanden zeigte sie auf, wie gefährlich der unreflektierte Einsatz von Software im Allgemeinen und Künstlicher Intelligenz (KI) im Besonderen sein kann. In all diesen Fällen hatten Gerichte (Fehl-)Entscheidungen auf Basis fehlerhafter Software getroffen.

Dr. Anke Morsch

Dr. Anke Morsch

Präsidentin @FG Saarland

Im Zentrum der Ausführungen stand dann Art. 6 Abs. 2 iVm. Anhang III Nr. 8 Buchst. a KI-VO. Danach werden KI-Systeme zur Verwendung in der Rechtspflege unter bestimmten Voraussetzungen generell als „Hochrisiko-KI-Systeme“ eingestuft. Daraus ergäben sich strenge Pflichten für Anbieter und Betreiber (Art. 16 KI-VO) und ein Recht auf Erläuterung für betroffene Personen (Art. 86 KI-VO).

Unabhängig davon betonte Morsch, dass die richterliche Entscheidungsautonomie durch KI keinesfalls untergraben werden dürfe. Zwar könnten KI-Systeme wie „Frauke“ (Frankfurter Urteilskonfigurator), „Frag den Schmidt“ (Verlag C.H.BECK) oder „Otto Schmidt Answers“ (Verlag Dr. Otto Schmidt) bestimmte Prozesse unterstützen, etwa durch Textextraktion oder Vorschläge für Urteilspassagen. Die Letztverantwortung für die Entscheidung müsse aber immer beim menschlichen Richter bleiben.

Besonders kritisch betrachtete Morsch die sogenannte Anbieterfiktion (Art. 25 Abs. 1 Buchst. c KI-VO), nach der Nutzer – etwa auch Richter – durch eine Änderung der Zweckbestimmung eines KI-Systems selbst zu „Anbietern“ mit allen regulatorischen Konsequenzen (z.B. Pflichten) werden könnten. Diese Konstruktion werfe komplexe Fragen der praktischen Umsetzbarkeit auf, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an Transparenz und technische Dokumentation.

B. AI-Act in der Besteuerung: Implikationen, Erwartungen, Verantwortlichkeiten und Chancen für die Unternehmens- und Beratungspraxis

Sophia Weber, Partnerin und Steuerberaterin bei PwC Deutschland im Bereich Tax Technology, nahm die Perspektive der Unternehmens- und Beratungspraxis ein. Sie zeichnete zunächst zwei extreme (Zukunfts-)Szenarien: zum einen die vollständig KI-gesteuerte Steuerabteilung eines Unternehmens ohne Nachvollziehbarkeit und zum anderen die analog gebliebene Steuerabteilung, die den Anschluss an technologische Entwicklungen verpasst hat.

Sophia Weber

Sophia Weber

Partnerin Tax Technology @PwC

Für Weber liegt die Zukunft dazwischen. Der AI-Act könne zum „Katalysator für verantwortungsvolle Automatisierung“ werden. Unternehmen müssten sich allerdings auf entsprechende regulatorische Anforderungen einstellen – darunter Transparenzpflichten und interne Governance-Strukturen. Diesbezüglich ordnete sie Risiken ausgewählter KI-Anwendungen im Steuerbereich den regulatorischen Risikoklassen zu:

  •           Unacceptable Risk: im Steuerbereich wohl weniger relevant, sondern maßgeblich z.B. für Mitarbeiterüberwachung und Social Scoring
  •           High Risk: z.B. Identifizierung von Steuerrisiken, automatische Entscheidungsfindung, Konsolidierung von Steuerdaten, Echtzeit-USt-Reporting oder Vorbereitungstools für Steuererklärungen
  •           Limited Risk: z.B. Chatbots oder Tools, die Transparenz erfordern
  •           Minimal Risk: einfache Automatisierungstools

Weber betonte, dass sich viele Unternehmen mit ihren KI-Anwendungen heute noch auf der Stufe „Minimal Risk“ befänden. Die Innovationen der nächsten Jahre würden sich aber stark im Bereich „High Risk“ bewegen mit entsprechend hohem Anpassungsbedarf an regulatorische Anforderungen.

C. AI-Act in der Finanzverwaltung: Finanzverwaltung (fast) ohne Pflichten – eine gute Idee?

Die dritte Perspektive wurde von Jan Winterhalter, Senior Consultant bei PD – Berater der öffentlichen Hand, eingebracht. Als Berater der Finanzverwaltung befasste er sich mit deren KI-Strategie zwischen Sein und Sollen. Zwar würden in der Finanzverwaltung längst teilautomatisierte Systeme eingesetzt, vom Webcrawling über Clusteranalysen bis hin zu Risk Scorecards. Diese sollen allerdings nicht als „Hochrisiko-KI-Systeme“ im Sinne der KI-VO einzustufen sein, wenn sie speziell für den Einsatz in der Verwaltung bestimmt sind.

Jan Winterhalter

Jan Winterhalter

Senior Consultant @PD - Berater der öffentlichen Hand GmbH

In der Folge würden für die Finanzverwaltung z.B. keine umfassenden Dokumentations- und Transparenzpflichten gelten. Winterhalter sieht darin eine problematische regulatorische Lücke. KI-basierte Fehlentscheidungen könnten das Vertrauen in die Verwaltung untergraben, insbesondere bei Bürgern, die keinen Einblick in das „Warum“ einer Entscheidung haben.

Statt eines vollständigen Ausschlusses plädierte Winterhalter für eine differenzierte Regulierung. Betriebsprüfungen oder Maßnahmen der Steuerfahndung mit hohem Eingriffsgewicht sollten durchaus dem Regelungsregime für Hochrisiko-KI-Systeme unterliegen. Zudem sei eine verfahrenssichere Ausgestaltung teilautomatisierter Systeme einschließlich der Offenlegung der verwendeten Algorithmen erforderlich.

D. Podiumsdiskussion: Regulierung mit Ambivalenzen

In der abschließenden Podiumsdiskussion wurde deutlich, wie komplex die Beachtung der Vorgaben des AI Acts im Bereich der Besteuerung ist. Unterschiedliche Perspektiven aus Technik und Recht bzw. Beratung, Softwareentwicklung, Finanzverwaltung und Justiz trafen aufeinander. Einigkeit bestand darin, dass die Regulierung des Einsatzes von KI-Systemen im Steuerbereich ambivalent bleibt.

Die Ambivalenz wurde bereits zu Beginn der Podiumsdiskussion deutlich, als Dr. Matthias Blank, Steuerberater und Informatiker, aus Sicht der Datev nicht nur auf die beachtlichen Regelungsanliegen des AI Act hinwies, sondern auch auf die damit verbundenen Belastungen für Betroffene und mögliche Folgen für Europa als Standort für die Entwicklung von KI-Anwendungen.

Kritisch gesehen wurde im Folgenden die schwierige regulatorische Einordnung von KI-Systemen. Bereits geringfügige Unterschiede in der technischen Ausgestaltung können weitreichende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dies könne insbesondere kleinere Akteure überfordern. Gleichzeitig wurde von mehreren Seiten betont, dass der AI Act als Vertrauensbrücke wirken könne – gerade in Bereichen, in denen bislang Vorbehalte gegenüber der Automatisierung bestünden.

Diskutiert wurde auch die (vermeintliche) Herausnahme der Finanzverwaltung aus dem Regelungsregime für Hochrisiko-KI-Systeme. Diese ist lediglich in den Erwägungsgründen des AI Act vorgesehen, nicht aber – anders als bei der DSGVO – im Regelungstext. Viele Teilnehmer bezweifelten, ob dies angesichts des Grundrechtseingriffs durch automatisierte und KI-basierte Entscheidungen ausreichend ist.

Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag auf der praktischen Umsetzbarkeit. Fehlende Fachkompetenz bei den Behörden, unklare Kontrollmechanismen und Überschneidungen mit der DSGVO wurden als Herausforderungen benannt. Vor diesem Hintergrund wurden praxistaugliche Leitlinien und verstärkte Aus- und Weiterbildung gefordert.

Insgesamt zeigte sich, dass die Notwendigkeit des AI Act anerkannt ist, sein Erfolg aber entscheidend davon abhängt, wie er konkret ausgelegt, angewendet und begleitet wird.

FAZIT

Regulierungsbedarf erkannt – Umsetzung offen: Der Vormittag in München hat eindrucksvoll gezeigt, wie vielschichtig der AI Act die Steuerwelt insgesamt und ihre verschiedenen Bereiche (Justiz, Verwaltung, Beratung und Unternehmen sowie Softwareentwicklung) betrifft.

Drei übergreifende Erkenntnisse lassen sich festhalten:

👉 Regulierung ist notwendig, aber sie muss praktikabel und differenziert sein.

👉 Transparenz ist entscheidend – sowohl für Vertrauen als auch für Rechtssicherheit.

👉 Die größte Gefahr der Anwendung von KI besteht weiterhin in der „Blackbox“-Problematik, sei es im Gerichtssaal, im Unternehmen oder in der Behörde.

Ob der AI Act den Spagat zwischen Innovationsoffenheit einerseits und rechtsstaatlichen Anforderungen andererseits schafft, bleibt offen. Die Beiträge im Rahmen der Konferenz zeigten aber, dass die Diskussion immerhin eröffnet ist und noch lange anhalten wird.

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