BFH-Urteil zur Nutzung im Prüfungsfall

Die Richtsatzsammlung auf dem Prüfstand

Grauer Hintergrund mit Schriftzug Blog und Portraitbild des Autors. Bild: @taxandbytes

Als Relikt des analogen Zeitalters ist die Richtsatzsammlung in bisheriger Form ĂŒber die Jahrzehnte gewachsen. Dies kritisiert der X. Senat des BFH nun mit Urteil vom 18.06.2025.

🔍 Ausgangslage und Umgang mit dem Ă€ußeren Betriebsvergleich in einschlĂ€gigen FĂ€llen

Steuerpflichtige, die in bargeldintensiven Branchen wie Gastronomie, Einzelhandel oder im Friseurgewerbe unternehmerisch tĂ€tig sind, kennen sie gut: die Richtsatzsammlung. Die Richtsatzsammlung – was war das nochmal?

Die Richtsatzsammlung wird jĂ€hrlich vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) veröffentlicht. Sie enthĂ€lt u.a. RohgewinnaufschlĂ€ge fĂŒr verschiedene Branchen. Je nach Branche gibt es Unterteilungen in Umsatzklassen (Spalte 1), den Rohgewinnaufschlag auf den Wareneinsatz (Spalte 3) und wie am Beispiel eines CafĂ©s ersichtlich, den Rohgewinn I (Spalte 4), den Halbreingewinn (Spalte 6) und den Reingewinn (Spalte 7)(prozentual dargestellt). Das Berechnungsschema hierzu ergibt sich aus der Anlage zu den Vorbemerkungen der Richtsatzsammlung. Zu den jeweiligen Bereichen gibt es einen mittleren, einen oberen und einen unteren Wert, der als Rahmen fĂŒr eine Verprobung oder aber einer SchĂ€tzung dient. Um den zutreffenden individuellen Wert zu finden, ist es erforderlich, betriebliche Besonderheiten wie Lage, Kaufverhalten und Preisbildung zu kennen. Hier steht der Steuerpflichtige in der Mitwirkungspflicht, spiegelbildlich die prĂŒfende Person in der Sachverhaltsermittlung.

Zudem mĂŒssen die Parameter, die zur SchĂ€tzungshöhe fĂŒhren transparent und nachvollziehbar dargestellt werden, s.a. Rz. 57 – 59 des BFH-Urteils vom 18.06.2025.

Hilfreich fĂŒr den Unternehmer kann das FĂŒhren von (freiwilligen) Aufzeichnungen in Form eines Betriebstagebuchs sein.

Bildquelle: BMF, Auszug aus der Richtsatzsammlung 2023.

Die in die Richtsatzsammlung einfließenden Daten stammen aus einer nicht-öffentlichen Auswertung von zahlreichen geprĂŒften Betrieben und dienen bisher der Finanzverwaltung als Vergleichswerte im Ă€ußeren Betriebsvergleich aber auch bei SchĂ€tzungen, insbesondere bei Vorliegen schwerwiegender MĂ€ngel in der BuchfĂŒhrung und fehlender Mitwirkung seitens des Steuerpflichtigen.


BEISPIEL

Das nun vorliegende Urteil schrĂ€nkt die Einsatzmöglichkeit der Richtsatzsammlung fĂŒr die Ermittlung der SchĂ€tzungshöhe ein. Nur in solchen FĂ€llen, bei denen die vorhandenen Aufzeichnungen derart lückenhaft oder inhaltlich zweifelhaft sind, wĂ€re lt. Urteil die RichtsatzschĂ€tzung anwendbar, s. Rz. 139 des BFH-Urteils vom 18.06.2025.

Ein typischer Anwendungsfall:

Gastronom G verwendet fĂŒr die Erfassung seiner UmsĂ€tze ein elektronisches Aufzeichnungssystem. Die Eingaben weisen LĂŒcken zu bestimmten Uhrzeiten auf. Zu diesen Zeiten ist in dem Betrieb lt. Google-Bewegungsdaten jedoch viel los. Der BetriebsprĂŒfer stellt zudem fest, dass der Wareneinsatz in weiten Teilen des PrĂŒfungszeitraums ungewöhnlich hoch ist - im Vergleich zu den Erlösen, die eher rĂŒcklĂ€ufig sind. Ferner geben weder Lager noch KĂŒhlung entsprechende KapazitĂ€ten her, um die eingekaufte Ware lt. Aufzeichnungen zu lagern. Zudem fehlen die HauptumsatztrĂ€ger wochenlang im Einkauf. Eine Ausbeutekalkulation erscheint in diesem Fall nicht zutreffend zu sein, da das Einkaufsverhalten offensichtlich nicht zu diesem Betrieb passt. Mangels anderer geeigneter SchĂ€tzungsmethoden verwendet er fĂŒr die Findung der SchĂ€tzungshöhe die Richtsatzsammlung.

Bei dieser Fallkonstellation greift nach wie vor der Ă€ußere Betriebsvergleich mittels Richtsatzsammlung. Anders gelagert wĂ€re zu agieren, wenn die Aufzeichnungen eine bessere QualitĂ€t und Nachvollziehbarkeit mit sich bringen wĂŒrden. Dann wĂŒrde der Schieberegler der SchĂ€tzung auf inneren Betriebsvergleich und Ausbeutekalkulation gestellt werden.

Mithin ein schmaler Grat, den Lebenssachverhalte in BetriebsprĂŒfungen mit sich bringen.

❗ Kritische Auseinandersetzung mit den AufzeichnungsmĂ€ngeln und der Richtsatzsammlung
1. Die Verfahren

Im Sommer 2025 waren drei Verfahren beim BFH anhĂ€ngig, bei denen die ZulĂ€ssigkeit der SchĂ€tzung nach RichtsĂ€tzen indirekt oder direkt verhandelt wurden

VERFAHREN #1

X R 19/21, mdl. Verhandlung am 18.06.2025

Das BMF wird aufgefordert, dem Revisionsverfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und  â€“ wenn ja – unter welchen Voraussetzungen ein Ă€ußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer SchĂ€tzung anhand der RichtsĂ€tze der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zulĂ€ssig ist.

VERFAHREN #2 und #3 

 R 23/21 und X R 24/21 zusammengefasst in der mdl. Verhandlung am 29.07.2025

Besteht eine SchĂ€tzungsbefugnis gemĂ€ĂŸ § 162 Abs. 1 und Abs. 2 SĂ€tze 1 und 2 AO auch dann, wenn zwar gravierende formelle MĂ€ngel der BuchfĂŒhrung bestehen, der Steuerpflichtige aber meint nachweisen zu können, dass sich derartige MĂ€ngel nicht auf die Erfassung der Einnahmen ausgewirkt hĂ€tten bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hĂ€tten auswirken können?
Stellt die Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen eine taugliche SchÀtzungsmethode dar?

2. Typische Fehlerquellen, die zur SchĂ€tzung fĂŒhren
Bei beiden Verhandlungsterminen wurde klar:

Die Fehlerquellen waren klassischer Natur:

  • KassenfehlbetrĂ€ge,
  • fehlende Programmierprotokolle oder fehlende Einzelaufzeichnungen bei PC-Kassen bis hin zu fehlenden Storno,
  • Nichtnachvollziehbarkeit von Wareneinsatz
    • aufgrund fehlender Inventuren,
    • Personalbeköstigung
    • oder Unkenntnis von Rezepturen von Jumbococktails mit Alkohol fĂŒr Jugendliche oder Roastbeef oder Steaks mit hohem Anteil an Abfall in der Zubereitung (1/3 des Wareneingangs wurde lt. Angaben des Unternehmens zu Abfall)

Aufzeichnung, Dokumentation, Mitwirkung und eben auch die SachverhaltsaufklĂ€rung sind das A und O fĂŒr die Nachvollziehbarkeit und die Verifikation von Erlösen. Gibt es hier MĂ€ngel, wie zuvor beschrieben, hat die Finanzverwaltung die Besteuerungsgrundlagen dem Grunde nach zu schĂ€tzen.

Im Fall X R 19/21 wurde schlussendlich mittels Richtsatzsammlung, fĂŒr die FĂ€lle X R 23/21 und X R 24/21 von der Richtsatzsammlung abgeleitet eine griffsweise SchĂ€tzung vorgenommen. Die Höhe wurde folglich direkt bzw. indirekt von der Richtsatzsammlung abgeleitet.

3. Fragestellung zum Handling rund um die Richtsatzsammlung.

Neben den vorab zu den mdl. Verhandlungsterminen vom BFH an das BMF adressierten Fragenkatalog

  • welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der RichtsĂ€tze der jeweiligen Gewerbeklasse einfließen, wie die ReprĂ€sentativitĂ€t der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden;
  • ob die regional zum Teil erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten (insbesondere Raum- und Personalkosten) der Festlegung bundeseinheitlicher RichtsĂ€tze entgegensteht;
  • weshalb die Ergebnisse von AußenprĂŒfungen bei sog. Verlustbetrieben unberĂŒcksichtigt bleiben, obwohl auch solche Betriebe grundsĂ€tzlich einen positiven Rohgewinnaufschlagsatz ausweisen;
  • ob ganz oder teilweise erfolgreiche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine AußenprĂŒfung ergangenen Steuerbescheide Eingang in die Richtsatzsammlung finden.

wurden insbesondere Fragen

  • zu dem mathematischen Gutachten, welches dem Richtsatzermittlungsverfahren zugrunde liegt,
  • zur Fallauswahl und
  • zum Fallauschluss (Nebengewerbebetrieben, Verlustbetriebe) an die Vertreter der Finanzverwaltung gerichtet und diskutiert.

Laut Auffassung der Richterschaft gelte das angewandte mathematische Verfahren nur fĂŒr FĂ€lle, die per Zufallsauswahl auf die PrĂŒfliste zur Richtsatzsammlungsfestlegung kommen. Ebenso mĂŒsse klar werden, welche Kalenderjahre der BetriebsprĂŒfung in die Richtsatzsammlung einziehen. Zudem muss die Spannbreite, die fĂŒr eine RichtsatzschĂ€tzung gelte, klar eingrenzbar fĂŒr ein Unternehmen sein. Wann ist ein oberer, wann ein niedriger und wann ein mittlerer Aufschlagssatz der richtige Wert?

4. Verfahrensausgang

Zu dem 1. Fall liegt nun das Urteil vor. Neben der ZurĂŒckverweisung an das Finanzgericht unter Mitgabe von Tipps zur Auswahl der SchĂ€tzungsmethode, nĂ€mlich der Nachkalkulation und der weitergehenden SachverhaltsaufklĂ€rung werden grundsĂ€tzliche Zweifelsfragen zur Anwendung der RichtsatzschĂ€tzung diskutiert und durch die Richter beantwortet. Nach meinem VerstĂ€ndnis werden Empfehlungen zum Umgang und zur Reihenfolge der SchĂ€tzungsmethoden ausgesprochen. So sind nach wie vor innerbetriebliche außerbetrieblichen SchĂ€tzungen vorzuziehen. Ebenso mĂŒssen sich SchĂ€tzungen nahe an der Wirklichkeit orientieren. Dies wird in der Regel nur möglich sein, wenn der Steuerpflichtige seinen tatsĂ€chlichen Aufzeichnungspflichten nachkommt. Ebenso mĂŒsse sich das SchĂ€tzungsergebnis aus den betrieblichen Besonderheiten ableiten lassen. Hier muss eine fĂŒr alle Beteiligten transparente Vorgehensweise gefunden werden.

FAZIT

Die Richtsatzsammlung bleibt ein wichtiges Instrument in der Hand der Finanzverwaltung. Das aktuelle BFH-Urteil aus Mai 2025 (IX R 1/24) stĂ€rkt den Standpunkt der Behörden – zu Lasten der Transparenz. Das Urteil aus Juni 2025 hingegen schrĂ€nkt die Anwendbarkeit der RichtsatzschĂ€tzung stĂ€rker ein.

Als Relikt des analogen Zeitalters ist die Richtsatzsammlung ĂŒber die Jahrzehnte gewachsen. Vielleicht wĂŒrde ein rein digitales und zudem transparentes Verfahren mehr Akzeptanz schaffen (s.o). Die beteiligten Stakeholder sollten hier in den Austausch gehen und sachlich diskutieren. Denn eins ist klar: die Richtsatzsammlung ist too important to fall, wie es Achilles/Danielmeyer bereits in der Rethinking Tax geschrieben haben:

FĂŒr Unternehmen heißt das jedoch, wie so oft: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die BuchfĂŒhrungs- und Kassendokumentation auf den PrĂŒfstand zu stellen. Denn wer im PrĂŒfungsfall seine IndividualitĂ€t belegen kann, hat bessere Karten – trotz geheimer Werte. 

 


 
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