Drei Lösungsansätze zur Reform

ELSTER-Monokultur: Digitaler Rückschritt oder notwendiger Standard? (Teil 2)

Grauer Hintergrund mit Schriftzug Blog und Portraitbild des Autors. Bild: @tax&bytes
🚪 Die Reform reformieren: 3 Wege aus der Digitalisierungsfalle 

Im ersten Teil dieses Beitrags habe ich den neuen § 87a Abs. 1 Satz 2 AO vorgestellt, der seit Ende des Jahres 2024 eine Revolution in Sachen Kommunikation mit Finanzbehörden darstellt. Sagen wir lieber Beschränkung statt Revolution. Hier folgen „Reparaturvorschläge“. 

🌱 Technologieoffenheit statt Monokultur 

Bereits im Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes 2024 wurde die ausschlieĂźliche Nutzung des ELSTER-Verfahrens bzw. der ERiC-Schnittstelle als einzig zulässiger Kommunikationsweg fĂĽr die Ăśbermittlung elektronischer Dokumente betont. Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltvereins und weiterer Stakeholder kritisierten diese Festlegung scharf. Sie argumentierten, dass diese Regelung bestehende, etablierte Kommunikationswege wie das beA sowie die speziellen Systeme fĂĽr Steuerberater (beSt) systematisch ausschlieĂźe und somit nicht nur zu einer unnötigen Doppelstruktur fĂĽhre, sondern auch die bereits getätigten Investitionen und die organisatorischen Abläufe in den betroffenen Kanzleien und Behörden infrage stelle. Eine schlĂĽssige Argumentation oder nicht? 

Die Fokussierung auf ein einziges Verfahren erscheint aus technischer Sicht zunächst nachvollziehbar, da ELSTER seit Jahren als sicherer und weit verbreiteter Kommunikationskanal fungiert. Allerdings ignoriert diese Regelung die Tatsache, dass andere Systeme – die in der Justiz und im anwaltlichen Bereich etabliert sind – bereits hohe Sicherheitsstandards und eine benutzerfreundliche Bedienbarkeit aufweisen. Aus Sicht einer modernen Digitalisierungsstrategie sollte daher ein technologieoffener Ansatz verfolgt werden, der neben ELSTER auch alternative, bereits praxiserprobte Kommunikationswege ausdrĂĽcklich zulässt. So wäre eine systemĂĽbergreifende Integration denkbar. 

🛠️ Pragmatische Ăśbergangslösung 

Stellen Sie sich vor, Sie mĂĽssen dringend einen Einspruch einreichen – doch ELSTER verhält sich wie ein trotziger Teenager: „Error 404 – Digitalisierung nicht gefunden“. Willkommen im Steuerrecht 2025! Während das Finanzamt von „modernen Workflows“ schwärmt, kämpfen Praktiker mit abstĂĽrzenden Uploads und Fehlermeldungen, die an mittelalterliche Fluchtafeln erinnern. Doch keine Sorge: mit diesem – nicht immer ganz ernst gemeinten –Trick ĂĽberlisten Sie das System so elegant, dass selbst der strengste Sachbearbeiter ein Schmunzeln unterdrĂĽcken muss. 

Das Notfall-Kit: ELSTER + Einschreiben = „Digital trifft Steinzeit“ 
1. Warum nicht hybrid versenden? 

„Wer schreibt, der bleibt“ – dieses Sprichwort gilt im Zeitalter des neune § 87a AO mehr denn je. Die Mischung aus digitalem Optimismus und analoger Vorsicht ist nicht nur rechtssicher, sondern auch psychologisch genial: 

  • ELSTER first: Versuchen Sie den Upload – selbst wenn er beim 3. Mal erst klappt  

  • Postalischer Backup: Schicken Sie parallel ein Einschreiben – inklusive Screenshot der ELSTER-Fehlermeldung als modernes „Rauchzeichen“ 

  • Bonus-Tipp: FĂĽgen Sie einen USB-Stick mit der Datei bei – fĂĽr den Fall, dass das Finanzamt plötzlich ins 21. Jahrhundert katapultiert wird 

GerĂĽcht aus der Praxis: Eine Rechtsanwaltskanzlei soll ihren 150-Seiten-Einspruch per Fahrradkurier eingereicht haben – ELSTER spuckte nach Seite 99 einen Fehler aus, der Kurier traf pĂĽnktlich ein.  

2. DigitalisierungsrĂĽckschritte und der sichere analoge Weg 

Paradoxerweise untergräbt die restriktive Regelung einen zentralen Zweck der Digitalisierung: Statt BĂĽrokratie abzubauen, fĂĽhrt die Beschränkung auf ein einzelnes Verfahren zu Insellösungen. Eine Ă–ffnung fĂĽr alternative, bereits etablierte Kommunikationskanäle wĂĽrde nicht nur die Interoperabilität zwischen verschiedenen Verwaltungsbereichen (z. B. Justiz und Finanzverwaltung) fördern, sondern auch die Nutzerfreundlichkeit und Effizienz des gesamten Systems verbessern. Bemerkenswert ist zudem die bereits angepasste Regelung im Anwendungserlass zur Abgabenordnung, die die Ansicht der Finanzverwaltung eindeutig festlegt. Demnach gelten elektronische Nachrichten und Dokumente, die unter VerstoĂź gegen § 87a Abs. 1 Satz 2 AO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder ĂĽber das besondere elektronische Behördenpostfach an eine Finanzbehörde ĂĽbermittelt wurden, obwohl ein sicheres elektronisches Verfahren zur VerfĂĽgung steht, mangels Zugangseröffnung nicht als zugegangen (AEAO zu § 87a, Nr. 2.1 Unterabs. 2 Satz 1). Sie können insbesondere keine Antrags- oder Einspruchsfrist wahren (AEAO zu § 87a, Nr. 2.1 Unterabs. 2 Satz 2). 

Daher gilt auch: Jedes Einschreiben ist ein stiller Protest gegen die digitale Monokultur. Bis zur Systemharmonisierung hilft daher im Zweifel nur das Notfall-Kit. 

📣 Lobbyarbeit 2.0: So machen Sie Druck 

Social-Media-Kampagnen wie beispielsweise #ELSTERfail sind ein zeitgemäßes und wirkungsvolles Instrument, um auf Missstände in der digitalen Steuerverwaltung aufmerksam zu machen und politischen Handlungsdruck zu erzeugen. Dabei werden reale Praxisprobleme öffentlich dokumentiert und einer breiten Fach- und Laienöffentlichkeit zugänglich gemacht. 

👉 Funktionsweise und Wirkung: 

a) Dokumentation von Praxisproblemen
Steuerberater, Unternehmen und BĂĽrger teilen unter dem Hashtag #ELSTERfail auf Plattformen wie LinkedIn, X (ehemals Twitter) oder Facebook konkrete Fälle, in denen ELSTER im Alltag versagt hat. Beispiele sind etwa das wiederholte Scheitern beim Hochladen umfangreicher Steuerunterlagen wegen technischer Begrenzungen oder Systemausfälle kurz vor Fristablauf. 

b) Potenzielle Beispiele aus der Praxis

  • Ein Steuerberater berichtet, dass der Upload einer 120-seitigen EinspruchsbegrĂĽndung an der ELSTER-Grenze von 100 Seiten scheitert. Die Folge: Zeitaufwändige Aufteilung in mehrere Dokumente und Unsicherheit ĂĽber die fristgerechte Einreichung.

  • Eine mittelständische Firma dokumentiert per Screenshot, wie das ELSTER-Portal am letzten Tag der Abgabefrist wegen Ăśberlastung nicht erreichbar ist. Das Posting wird vielfach geteilt und kommentiert, auch von anderen Betroffenen.

  • Eine Kanzlei veröffentlicht ein kurzes Video, das den wiederholten Abbruch des Ăśbermittlungsvorgangs zeigt. Das Video erreicht in kurzer Zeit tausende Aufrufe und wird von Fachmedien aufgegriffen. 

c) Ă–ffentliche Aufmerksamkeit und politische Reaktion
Durch die Vielzahl an geteilten, authentischen Erfahrungsberichten entsteht öffentlicher Druck. Medien greifen die Fälle auf, Berufsverbände nehmen sie in Stellungnahmen auf, und politische Entscheidungsträger werden gezwungen, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen.  

FAZIT

#1: Schwachstellen aufzeigen

Social-Media-Kampagnen wie #ELSTERfail zeigen, wie gezielte, faktenbasierte Öffentlichkeitsarbeit dazu beitragen kann, digitale Schwachstellen im Steuerrecht sichtbar zu machen und Reformen anzustoßen. Entscheidend für die Wirksamkeit ist die Kombination aus realen Praxisbeispielen, professioneller Kommunikation und der Vernetzung mit relevanten Akteuren aus Wirtschaft, Verbänden und Politik.

#2: Digitalisierung braucht Wahlfreiheit – nicht Einheitszwang 

Die § 87a AO-Reform offenbart ein Grundproblem: Statt interoperable Lösungen zu fördern, zementiert sie veraltete Inselsysteme. Insbesondere Rechtsanwälte, Notare und andere nicht-steuerberatende Berufsträger stehen vor erheblichen Herausforderungen, da sie bislang auf etablierte Kommunikationswege wie das besondere elektronische Anwaltspostfach zurĂĽckgreifen konnten. Die zwingende Umstellung auf das ELSTER-Verfahren fĂĽhrt zu einem erheblichen Mehraufwand, der nicht nur den administrativen Prozess verlangsamt, sondern auch das Risiko von Fristversäumnissen erhöht. 

Eine zukunftsfähige Regelung sollte daher die berechtigten Interessen aller Beteiligten berĂĽcksichtigen und flexibel genug sein, um auf technische Entwicklungen und praktische BedĂĽrfnisse reagieren zu können. Nur so kann ein elektronischer Rechtsverkehr mit der Finanzverwaltung geschaffen werden, der gleichermaĂźen effizient, rechtssicher und praktikabel ist. 

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