IT im Sanierungsgutachten nach IDW S6: Zwischen Risiko & Fundament (Teil 4)
Ein Beitrag von Prof. Andreas Crone und Prof. Dr. Christian Jung
In jeder Sanierungssituation haben Unternehmer und Sanierer die IT genau zu analysieren. Im ersten, zweiten und dritten Teil dieser Beitragsreihe wurden für die Teilbereiche Cyber-Sicherheit, Digitalisierung und digitale Transformation sowie für die (IT-)Geschäftsprozesse deutliche Sanierungsrisiken aufgezeigt, was im Ergebnis dazu führen kann, eine negative Unternehmensfortführungsprognose konstatieren zu müssen. Im vorliegenden vierten Teil werden die IT-spezifischen Risiken im Maschinenraum des Unternehmens untersucht: der IT-Abteilung.
Teil 4: IT-Experten zwischen Sanierungsrisiko und Exzellenzfundament
KERNAUSSAGEN
👉 Sanierungsgutachten beleuchten Personalstruktur und -kosten, lassen dabei jedoch meist die IT-Abteilungen unerwähnt.
👉 Die IT-Ressourcen sind motiviert zu halten, haben aber auch in Qualität und Quantität den Anforderungen zu entsprechen.
👉 Unternehmer, Sanierer und Transformierer gefährden ohne gründliche Analyse der IT-Abteilung die Existenz des Unternehmens.
I. Einleitung: Das Personal wurde doch immer schon analysiert. Oder?
Zu den Kernbestandteilen eines Sanierungsgutachtens nach IDW S 6 gehört u. a. die Analyse der Ist-Situation des Unternehmens, zu der auch die Analyse der einzelnen Funktions- und Fachbereiche auf Zustand, Funktionalität und ggf. notwendigen Veränderungsbedarf in quantitativer und qualitativer Sicht gehört. Ergänzend ist im Rahmen der zu erstellenden integrierten Unternehmensplanung auch auf die Gesamtpersonalplanung, gegliedert nach Abteilungen, einzugehen. Die Fachliteratur unterstützt, detailliert und konkretisiert im Personalumfeld bspw. zu den Themen:
- Personal, Personalkosten und Personalproduktivität mit dem Verweis auf Tarifierung im Hochlohnland, Lohnquoten und Performance,
- Personalmaßnahmen über die Berechnung von Soll- vs. Istkosten oder Activity Based Costing,
- Personalquote im Rahmen von Krisenfrühwarnsystemen,
- Personalreduktion mit dem Fokus auf Arbeitsrecht, Kurzarbeit, Fristigkeiten, Betriebsrat, Gewerkschaft, Aufhebungsvertrag oder betriebsbedingte Beendigungskündigung und
- Qualifikation.
Das ist alles gut, richtig, wichtig. In der Praxis lohnen sich die Vergleiche zu branchenüblichen Kennzahlen, denn die Sanierungsfähigkeit hängt, bei rückläufigen Auftragsvolumina und sonstigen Kostensteigerungen, oft im Wesentlichen davon ab, dass Personalkosten drastisch reduziert werden können.
Anerkannt ist, dass die IT-Abteilung in Unternehmen mittlerweile unverzichtbar geworden ist. Auch im Kontext von Sanierungsgutachten ist die IT-Abteilung daher nicht nur als Kostenfaktor, sondern als wichtiges strategisches Element zu begreifen. Im Rahmen eines Sanierungsgutachtens nach IDW S 6 ist daher eine differenzierte Betrachtung notwendig, die die Bedeutung der IT für die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens berücksichtigt. Entsprechend gewinnt die Rolle der dort handelnden Personen zunehmend an Bedeutung.
Im vierten Teil dieser Beitragsreihe geht es daher darum, wie die IT-Abteilung, deren Teams und handelnden Personen zielführend analysiert werden können. Ferner muss für die Frage der Analyse des Unternehmens die Qualität der zur Verfügung stehenden Kennzahlen beurteilt werden. Die Qualität von Kennzahlen hängt aber maßgeblich von einer leistungsstarken und effizient organisierten IT-Infrastruktur ab. Eine zentrale Frage ist daher, ob das IT-Team in der Lage ist, die erforderliche Leistungsfähigkeit sicherzustellen.
II. Relevanz der IT-Abteilung für aussagekräftige Sanierungsgutachten
Die IT-Abteilung ist Rückgrat und Motor eines Unternehmens, wenn es darum geht, Organisation, Struktur, Technologie und Betrieb aufrecht zu erhalten und weiterzuentwickeln. Sie ist meist für IT-Support, -Schulung und -Onboarding zuständig, legt damit auch die Benutzenden an oder deaktivieren sie beim Verlassen des Unternehmens. Gerade in Krisenunternehmen verändern sich bspw. Fluktuation, Rollen, Kennzahlenanforderungen, Prozessanforderungen oder Schnittstellen in besonderem Maße. Eine stabile Betriebskontinuität ist ohne eine funktionierende IT meist nicht (mehr) möglich; ebensowenig wie eine flächendeckende Unternehmensanalyse oder erfolgreiche Sanierung. Die Relevanz für ein Sanierungsgutachten ist damit offenkundig.
III. Analyse und Sicherheit durch gezielte Maßnahmen: Die IT-Abteilungen
1. Organisatorische Maßnahmen
- Kommunikative Transparenz herstellen: In den IT-Abteilungen müssen ausreichend Fachkräfte vorhanden sein, um die organisatorischen, strukturellen, technologischen, betrieblichen und prozessualen Herausforderungen bewältigen zu können. Hier bestehen bereits die ersten Risiken: IT-Personal ist gesucht, sodass gute Mitarbeiter das Krisenunternehmen schnell verlassen können. Umgekehrt sind festangestellte Fachkräfte in schwieriger betrieblicher Lage eher seltener zu einem Wechsel zum Krisenunternehmen zu überzeugen, als dies in den operativen Abteilungen der Fall sein mag. Wird die Krise bekannt, ist ein sofortiges Mitarbeitergespräch notwendig, um die Zukunftsoptionen zu besprechen, die Aussichten und Erwartungen – beiderseitig – klarzustellen. Das Krisenunternehmen hat hier in der Kommunikationspolitik und -reihenfolge darauf zu achten, die IT-Mannschaft thematisch besonders mitzunehmen. Eine Welle von Illoyalität, innerer oder faktischer Kündigung ist zu Beginn der Sanierungsphase zu vermeiden bzw. mindestens kontrolliert zu steuern. Wie in anderen Unternehmensbereichen gibt es aber auch in der IT Mitarbeitende, deren Beitrag zum Unternehmenserfolg begrenzt ist, was gezielt adressiert werden sollte, um Effizienz und Effektivität zu steigern.
- Führung – durch einen CIO – sicherstellen: Die Bedeutung eines Chief Information Officers (CIO) vor, während und nach einer Sanierung wird vielfach unterschätzt. „Deutsche Vorstände machen IT und HR nebenbei. IT- und HR-Expertise sind einer Studie zufolge im Topmanagement von Dax- und Familienunternehmen unterrepräsentiert. Damit fehlt es in den Vorständen an Entscheidungsträgern, die in der Lage sind, Zukunftsthemen strategisch voranzutreiben“. Der CIO/CTO existiere in 47,5 % der mittelständischen und 17,5 % der börsennotierten Unternehmen. Laut Quellen aus 2024 sind die Zahlen teils deutlich höher. Faktisch ist aber weiterhin mehr als jedes zweite Unternehmen ohne alleinentscheidungsfähige IT.
Der CIO ist verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung der IT-Strategie, -Sicherheit, - Innovation und -Integration, die mit den Unternehmenszielen übereinzustimmen hat. In einer Sanierungssituation ist eine klare Strategie entscheidend, um die IT als Motor für Veränderungen zu nutzen. Ohne über heute notwendige Chief Security Officer (CSO), Chief Digital Officer (CDO), Chief Technology Officer (CTO), Chief AI Officer (CAIO) und weitere das Thema überstrapazieren zu wollen, fokussieren wir uns auf den CIO: Die meisten Unternehmen benötigen mindestens einen gleichberechtigten IT-Vorstand bzw. IT-Geschäftsführer. Damit sind weder CEO oder CFO noch die traditionell operativ ausgerichteten IT-Führungskräfte gemeint, die aus ehemaligen Einkäufer-, Programmiereroder Ex-CFO-Rollen „ein bisschen CIO mitmachen“, um sich letztlich dem Votum von CEO und CFO unterordnen zu müssen. Im Folgenden gehen wir inhaltlich davon aus, es gäbe (inzwischen) einen eigenständigen CIO im betroffenen Unternehmen, welches ein Konzern oder auch ein mittelständisches Unternehmen sein kann. Damit ist gemeint: Auch im Mittelstand ist abhängig von Branche und Größe die IT in der Geschäftsführung anzusiedeln, um strategisch und gemeinsam mit CEO und CFO kompetent Richtung Zukunft steuern zu können. - IT-Strategie untersuchen: Die Strategie des CIOs ist zu analysieren und zu untersuchen, inwieweit diese mit den – aktuellen wie zukünftigen – Gesamtzielen des Unternehmens übereinstimmt und ob sie die technische Transformation effektiv unterstützt. Dies ist entscheidend, da der CIO eine Schlüsselfunktion in der Anpassung der IT-Strategie an die Unternehmensziele spielt, insbesondere in einer Sanierungssituation.
- Projektlandschaft prüfen: Ohnehin ist eine regelmäßige Evaluierung laufender Projekte von entscheidender Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die IT-Abteilung, deren Projekte oft erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen binden und maßgeblich den Erfolg oder Misserfolg einer digitalen Transformation beeinflussen. Ebenso sind meist viele andere Projekte zu analysieren, da es kaum noch Projekte ohne nennenswerten IT-Einfluss gibt oder geben sollte. Umso mehr ist die Untersuchung laufender Projekte in der Sanierungssituation essenziell. Sie zielt darauf ab, eine fundierte Entscheidungsbasis zu schaffen, ob bestimmte Projekte weitergeführt, angepasst oder beendet werden sollten. Hierbei werden Aspekte betrachtet wie Ressourcennutzung, Projektstatus, aktuelle Marktfähigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit, aktuelle strategische Relevanz, Risikobewertung, Identifikation potenzieller Risiken, Rückmeldungen der Projektteams und Stakeholder, Überprüfung der aktuellen technologischen Rahmenbedingungen.
- Leistungsevaluierung CIO: Es ist eine 360-Grad-Bewertung des CIOs durchzuführen, welche grundlegende Aspekte wie Führungsfähigkeiten, Kommunikationsstärke und strategisches Denken und Handeln einschließt und eine umfassende Sicht auf die Effektivität des CIOs innerhalb des Unternehmens bietet.
- IT-Organisationschart optimieren: Eine Bestandsaufnahme des Fundaments der IT-Exzellenz ist notwendig, nämlich der aktuellen Team- und Personalstruktur der IT-Abteilung. Sie ist hinsichtlich der Anzahl der Mitarbeitenden, ihrer Funktionen, der vorhandenen Qualifikation und der Berichterstattungslinien, Befugnissen und Verantwortlichkeiten zu analysieren. Zur Aufnahme von Rolle, Aufgabenspektrum, Erfahrung über simple Matrizen und der Erstellung/Überarbeitung eines Organisationscharts (siehe folgende Abschnitte) können die in Abschnitt III.1 beschriebenen Mitarbeitergespräche dienen. „Keep it simple stupid“ (KISS), damit der Mitarbeiter sich in einer guten Unterhaltung, nicht in einem Kreuzverhör befindet. Dann sind die Teams zu bestätigen oder neu aufzubauen, damit Struktur und Fähigkeiten optimal genutzt werden können. Dabei rückt das – neue – strategische Ziel des Unternehmens in den Fokus. Alte Zöpfe sind abzuschneiden. Die ,neue‘ IT-Infrastruktur bzw. die ,neuen‘ Prozesse wie sie aus den vorhergehenden Beitragsteilen 210 und 311 dieser Beitragsreihe hervorgegangen sind, sind hier die Basis und bedingen neue Strukturen, auch in der IT.
MERKE
Wurden über die organisatorischen Maßnahmen in Beitragsteil 312 Prozesse gestrichen, verändert oder transformiert, ist darauf die IT-Mannschaft anzupassen. Wurden sämtliche bisherige Aufgaben umfassend und rigoros umgesetzt, sollten allein dadurch Möglichkeiten zur Anpassung von Quantitäten und Qualitäten in der IT möglich sein.
- Qualifikationsbewertung: Die Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeitenden in der IT-Abteilung sind durch Interviews, (rechtliche) Zertifikatsprüfungen und Skills-Assessment-Tools zu erfassen. Dabei ist sicherzustellen, dass alle benötigten technischen Fähigkeiten, Soft Skills und branchenspezifisches Wissen in die Bewertung einfließen. Auch hier sind die Teams im Anschluss entsprechend den Ergebnissen anzupassen.
- Motivationsanalyse: Die Motivation der Mitarbeitenden ist stets ein ausschlaggebender Faktor für Erfolg und Stabilität der IT-Systeme. Eine motiviert aufgestellte IT-Abteilung wird nicht nur reaktive, sondern auch proaktive Maßnahmen zur Risikominderung ergreifen und somit einen wertvollen Beitrag zur Sanierung des Unternehmens leisten. Wie schwer es in der Krise auch fallen mag: besonders Management, Logistik und die IT sind motiviert zu halten! Das Engagement und die Zufriedenheit innerhalb der IT-Abteilung sind zu erfassen. Dies kann über digitale wie persönliche Umfragen erfolgen und über kurze Workshops und Feedbackgespräche ergänzt werden. IT-Ressourcen sollten sowohl motiviert bleiben bzw. gezielt motiviert werden als auch in Qualität und Quantität den Anforderungen entsprechen.
- Reaktionsfähigkeit und Agilität: Die IT hat schnell auf betriebliche Bedürfnisse zu reagieren und agile Lösungen anzubieten. Bei Veränderungen – die in der Sanierung laufend stattzufinden haben – hat die IT proaktive Strategien zu entwickeln, um die Anpassung zu ermöglichen und zu beschleunigen.
- Innovationsbewertung: Es ist zu untersuchen, inwieweit innovative Lösungen und Technologien initiiert und implementiert werden können. Geplante Innovationsstrategien und deren potenzieller Einfluss auf das Unternehmen sind ebenfalls zu evaluieren, um sicherzustellen, dass die IT-Abteilung zur zukunftsfähigen Ausrichtung des Unternehmens beiträgt, vielmehr (noch) beitragen kann. Die (zukünftigen) IT-Experten müssen genau hierzu in der Lage sein. Da diese Anforderung in prosperierenden Unternehmen zu selten erfüllt ist, wird dies in einem Unternehmen im Krisenstadium umso wichtiger – und schwieriger.
- Sanierungsrisiken identifizieren bzw. Sanierungserfolge fördern: Die IT-Abteilung hat hier originär hohe Beiträge zu leisten. Die Qualifikationsprofile, Erfahrungen und verfügbare Werkzeuge prädestinieren IT-Experten im Sanierungsumfeld dazu. Liefert sie nicht proaktiv, sind Vorschläge, Analysen, Maßnahmenkataloge und Ergebnisse einzufordern.
- Support: Ein effektiver IT-Support hat Mitarbeitenden schnelle und zuverlässige Hilfe bei technischen Problemen zu liefern. Anfragen und Störungen sind systematisch zu erfassen und zu lösen, um die Produktivität aller Mitarbeiter zu unterstützen. Dieser Punkt klingt allgemeingültig. Und doch sei erwähnt, dass ein effektiver und effizienter Support in größeren Unternehmen oder Konzernen hinreichend selten gegeben ist.
- Quantität (Headcount) ermitteln und sicherstellen: Aus den zuvor genannten Ergebnissen ergibt sich ein neuer Personalbedarf, welcher bei konsequenter Umsetzung der in den Beitragsteilen 1 bis 3 beschriebenen Maßnahmen sowie bei kluger Neuordnung der Abteilung geringer als zuvor sein kann. In der Praxis kommt der gegenteilige Fall ebenso vor: die IT-Abteilung war ,schon immer‘ bzw. vor Kriseneintritt zu schwach bzw. zu schwach besetzt und ist nun personell und fachlich aufzustocken. Siehe dazu die in Abschnitt III.1 beschriebenen Herausforderungen.
- Risiken identifizieren und mitigieren: Risiken ist professionell zu begegnen. Alarmzeichen können hier bspw. sein: Fluktuation, unzureichende Reaktionszeiten, veraltete Technologien, „typische IT-Denke“, schlechtes Abteilungsklima, Überheblichkeit, Fachchinesisch, veralteter Schulungsstand bei User oder IT’ler, sich wiederholende Fehlermeldungen, reaktive statt proaktive Fehlerbehebung, unzureichende oder überfrachtete/intransparente Kennzahlensysteme u. v. a. m.
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Dies ist eine Kurzfassung des Beitrages aus NWB Sanieren Nr. 2/2025 Seite 50
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