Leadership zwischen Erfahrung und Digitalisierung
Bei meinem Panel auf der Tax Technology Conference 2025, die vom 03.–04.11.2025 in Frankfurt stattfand, stand der Mensch im Mittelpunkt. In vielen Projekten wirkt die Digitalisierung zunächst wie ein rein technisches Thema. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass es sich bei Digitalisierungsprojekten vor allem um Kulturarbeit handelt.
Das wurde auch durch meine Eingangsfrage an das Publikum deutlich: Viele hatten in den letzten zwölf Monaten digitale Lösungen eingeführt und fast ebenso viele erkannten, dass nicht die Technik, sondern Team, Sprache und Haltung über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Genau darüber hatte ich auf dem Panel die Möglichkeit, mit Andrea Jacob, Kerstin Schulz, Ulrike Schramm, Holger Engelke und Patrick Stasch zu diskutieren.
❓Warum Kultur entscheidet
In der Praxis scheitert man in der Regel nicht an der Implementierung von Softwarelösungen oder Tools, sondern vielmehr am Umgang der Menschen mit diesen. Ein Bild aus dem Wilden Westen verdeutlicht diesen Gedanken: Selbst ein technisch perfekt ausgestatteter Planwagen bringt ohne Team niemanden voran. Übertragen auf die digitale Transformation bedeutet das, dass eine gemeinsame Ausrichtung, klare Kommunikation und gegenseitiger Respekt unverzichtbar sind.
Eine Rückmeldung aus dem Plenum brachte es auf den Punkt: „Das ist ja eigentlich gar nicht so viel Technik, das ist Kulturarbeit.“ Change Management ist deshalb keine Zusatzleistung, sondern die Grundlage für jeden Fortschritt.
TTC 2025, Frankfurt, 03.11.25 - Dominik Wellmann (Mercedes-Benz)
🤝 Erfahrung trifft Digitalisierung: Brücken bauen
Bei Continental zeigte sich laut Ulrike Schramm, dass getrennte Welten von Steuerrechtlern und Digitalisierungsexperten nicht funktionieren. Erst als Kolleginnen und Kollegen aus dem Digitalisierungsteam regelmäßig an Meetings der Fachabteilungen teilnahmen, entstand gegenseitiges Verständnis und eine gemeinsame Sprache. So konnten Lösungen gefunden werden, die sowohl rechtlich fundiert als auch technisch tragfähig waren.
Digitalisierung gelingt nur, wenn beide Seiten dieselbe Sprache sprechen. Steuerrecht und IT müssen sich verstehen und nicht nur nebeneinander arbeiten.
TTC 2025, Frankfurt, 03.11.25 - v.l.n.r. Holger Engelke (Munich RE), Andrea Jacob (thyssenkrupp), Kerstin Schulz (Lufthansa), Dr. Ulrike Schramm (Continental), Patrick Stasch (Viega)
Andrea Jacob betonte, dass die Herausforderung zudem nicht im Alter, sondern in der Kommunikation liegt. Steuerexperten und technikaffine Kolleginnen und Kollegen sprechen oft aneinander vorbei. Hilfreich sind Vermittlerrollen, noch wichtiger sind Wiederholung und Geduld.
Man muss Botschaften öfter wiederholen, bis sie ankommen – nicht zweimal, eher siebenmal.
Bei der Munich Re kam man relativ schnell zu der Erkenntnis, dass Innovation nicht im Labor entsteht. Holger Engelke schilderte, wie zuvor isolierte Innovationsteams aufgelöst und in den Alltag integriert wurden. Erfolg brauche Räume, in denen Experimente erlaubt sind, eine funktionierende technische Infrastruktur sowie Führungskräfte, die Fehler als Teil des Lernprozesses betrachten.
🎓 Lernkultur und Weiterbildung: zwei Stränge, ein Ziel
Ein Beispiel brachte Kerstin Schulz aus der Perspektive der Lufthansa ein: In einem Verhandlungstraining traten erfahrene Verhandler gegen gut vorbereitete und gecoachte Studierende an. Das Ergebnis war überraschend. Beide Gruppen erzielten vergleichbare Ergebnisse. Dies zeigt, wie viel sich durch gezieltes Training grundsätzlich erreichen lässt. Diese Erkenntnis lässt sich auch auf die digitale Weiterbildung übertragen. Entscheidend ist nicht das Alter oder die Position, sondern die Bereitschaft, Fähigkeiten bewusst zu trainieren, zu reflektieren und regelmäßig weiterzuentwickeln.
Lernen bedeutet, neugierig zu bleiben. Das gilt unabhängig davon, ob man seit 20 Jahren Steuern macht oder gerade erst anfängt.“
Andrea Jacob machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass fachliche Kompetenz trotz aller technischen Errungenschaften unverzichtbar bleibt. Generative KI-Systeme liefern zwar oft plausible, aber nicht immer korrekte Antworten. Umso wichtiger ist es deshalb, das steuerliche Bauchgefühl zu bewahren und es durch gezielte Weiterbildung zu stärken bzw. bei jüngeren Kollegen erst einmal aufzubauen.
Ergänzend dazu erläuterte Holger Engelke, dass selbst aus komplexen und häufig als belastend empfundenen Projekten wie der globalen Mindestbesteuerung positive Effekte entstehen können. Diese Erfahrung führte bei Munich Re dazu, ein konzernweites Stammdatensystem aufzubauen, das heute als Basis für weitere Digitalisierungs- und Automatisierungsschritte dient.
Erst verlässliche Daten, dann Automatisierung und dann KI: Diese Reihenfolge sichert nachhaltigen Fortschritt und schafft zugleich Transparenz, die auch zukünftige Projekte effizienter macht.
⛔ Angst, Überforderung und psychologische Sicherheit
Wandel löst Emotionen aus, das machte Patrick Stasch deutlich. Angst vor Jobverlust, Überforderung durch Regulatorik oder der Verlust vertrauter Routinen sind reale Themen. Dagegen helfen Gespräche, aktives Zuhören und kleine Erfolge. So wurde die Einführung digitaler Arbeitsmittel zunächst in kleinen Gruppen getestet und erst später flächendeckend umgesetzt.
Auch Ulrike Schramm betonte diese Dynamik. Besonders jüngere Kolleginnen und Kollegen seien oft verunsichert. Bei Continental begegnet man dieser Unsicherheit durch Beteiligung: Teams erhalten Zugang zu KI-Tools, präsentieren ihre Erfahrungen und teilen ihre Erkenntnisse. So wird aus anfänglicher Skepsis Neugier und aus Neugier Routine.
🔁 Arbeitsweise: von umfänglicher Planung zu iterativem Vorgehen
Steuerabteilungen planen Projekte traditionell bis ins kleinste Detail. Die digitale Transformation funktioniert jedoch anders: Sie lebt von Iteration. Kleine, klar abgegrenzte Schritte führen schneller zu sichtbaren Ergebnissen. Andrea Jacob berichtete von spezialisierten Gruppen für Dashboards, Automatisierung und KI-Agenten. Diese Teams tragen ihre Ergebnisse in die Breite und machen Fortschritte erlebbar.
Holger Engelke wies an diesem Punkt erneut darauf hin, dass die Digitalisierung eine klare Reihenfolge benötigt. Zunächst müssen stabile Grundlagen geschaffen werden, dann folgen Automatisierung und KI. Wer beispielsweise früh auf saubere Stammdaten achtet, legt das Fundament für verlässliche und effiziente Prozesse.
🧩 Führung: Sicherheit geben, Vielfalt nutzen
Wie wichtig Wertschätzung unterschiedlicher Kompetenzen ist, hob Kerstin Schulz hervor. Fachliche Tiefe und technologische Offenheit müssen sich ergänzen. Führung bedeutet, Raum für Experimente zu schaffen und gleichzeitig Orientierung zu geben. Neue Systeme laufen parallel zu den alten, bis sie sich bewähren. Vertrauen entsteht durch Stabilität.
Holger Engelke ging auf die strategische Perspektive ein. Er erinnerte daran, dass die Finanzverwaltung bald über umfassende Datenzugänge verfügen wird. Wer seine eigenen Daten im Griff hat, bleibt auch vor diesem Hintergrund souverän und handlungsfähig.
Den kulturellen Kern brachte Patrick Stasch schließlich auf den Punkt, indem er verdeutlichte, dass Offenheit und Vertrauen zentrale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation sind.
Offenheit fördern, Ängste ernst nehmen und Fehler zulassen. Nur so entsteht die Bereitschaft, Neues zu wagen und Wissen zu teilen.
🚀 Praxishebel für Führung und Teams
Aus der Diskussion ergab sich ein klares Fazit: Führungskräfte und Teams müssen Kommunikation neu denken und stabile Strukturen schaffen. Beide Aspekte bilden das Fundament für eine gelungene digitale Transformation:
👉 Kommunikation strukturieren
- Vermittlerrollen schaffen und eine gemeinsame Sprache fördern.
- Informationen regelmäßig wiederholen und Erfolge sichtbar machen.
- Pilotprojekte bewusst klein starten und Erfahrungen teilen.
👉 Strukturen stabilisieren
- Verlässliche Daten sind die Basis jeder Automatisierung.
- Digitalisierung vor Automatisierung, Automatisierung vor KI.
- Fehlerfreundliche Räume schaffen, in denen Lernen möglich ist.
FAZIT
💡 Menschen befähigen, Zukunft gestalten
Am Ende entstand ein klares Bild. Die Digitalisierung verändert die Steuerfunktion, ersetzt sie aber nicht. Aufgaben verlagern sich hin zu Beratung, Datenanalyse und Prozessgestaltung. Die Grundlage dafür bilden belastbare Daten, agile Arbeitsweisen sowie Teams, die Fachwissen mit digitaler Offenheit verbinden.
"Die Verantwortung bleibt beim Menschen. KI liefert Hinweise, wir treffen Entscheidungen."
Wenn Angst Neugier weicht, Kommunikation gelingt und Lernen selbstverständlich wird, entfaltet die Digitalisierung ihren vollen Nutzen. Dann wird High Noon kein Showdown, sondern ein Aufbruch, getragen von Vertrauen, Mut und echter Zusammenarbeit.