Brauchen wir noch eine Dauerfristverlängerung bei Echtzeit-Buchhaltung?
Die Diskussion um die Relevanz der Dauerfristverlängerung für Umsatzsteuervoranmeldungen (UStVA) ist kein rein technisches Thema mehr, denn sie berührt den Kern der modernen Unternehmenssteuerung. Während die Einführung der E-Rechnung Anfang 2025 die Themen Automatisierung und Effizienzgewinn weiter in den Fokus rückte, hat sich der Horizont inzwischen deutlich erweitert: KI-gestützte Buchhaltung, vollintegrierte Systemlandschaften und die Möglichkeit der 24/7-Datenverarbeitung verschieben die Maßstäbe grundlegend.
Die entscheidende Frage lautet daher nicht mehr: Brauchen wir die Dauerfristverlängerung noch?, sondern vielmehr: Warum erlauben wir es uns überhaupt noch, mit veralteten Buchhaltungsprozessen zu arbeiten?
⌚ Die neue Realität: Buchhaltung in Echtzeit
In vielen Unternehmen laufen Kassen- und Bankbuchungen bereits heute tagesaktuell – über RZ-Anbindungen, API-Schnittstellen oder Banking-Hubs völlig automatisiert. Ausgangsrechnungen werden direkt aus ERP- oder Warenwirtschaftssystemen in die Buchhaltung übertragen. Eingangsrechnungen im strukturierten Format (z.B. XRechnung, ZUGFeRD) werden standardisiert verarbeitet – oftmals sogar vollständig durch KI-gestützte Systeme.
Und: Diese Systeme schlafen nicht. Sie arbeiten rund um die Uhr, erkennen Anomalien, prüfen Plausibilitäten und kategorisieren Buchungen. Somit ist die Buchhaltung keine nachgelagerte Aufgabe mehr, sondern ein laufender, systemgestützter Prozess.
✅ Vorteile der tagaktuellen Buchhaltung
Die Liste der Vorteile ist lang – hier einige zentrale Punkte:
👉 Planung in Echtzeit: Nur mit aktuellen Daten sind valide Liquiditätsplanungen möglich. Wer auf Buchhaltungsdaten vom Vormonat vertraut, handelt blind.
👉 Transparenz und Steuerbarkeit: Unternehmen erkennen Engpässe und Risiken früher – und können schneller reagieren.
👉 Effiziente Ressourcenplanung: Kein zeitraubendes Sammeln von Belegen, kein hektisches „Umsatzsteuervoranmeldungs-Schlussrechnen“ am Monatsende.
👉 Compliance und Governance: Durchgängige Dokumentation und Echtzeitverfügbarkeit schaffen Sicherheit – auch im Hinblick auf gesetzliche Vorgaben wie z.B. § 1 Abs. 1 StaRUG (Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement).
👉🏼 Schnellere Abschlüsse: Wenn Daten laufend geprüft werden, wird der Monats- oder Jahresabschluss zur Formalität.
📼 Ein Relikt aus der analogen Welt
Die Dauerfristverlängerung war ein sinnvolles Werkzeug, als die Buchhaltung noch papierbasiert, manuell und retrospektiv war. In einer Umgebung, in der Belege physisch zusammengesucht, geprüft und verarbeitet werden mussten, schuf sie Zeitpuffer.
Doch diese Zeit ist vorbei. Aus heutiger Sicht behindert die vermeintliche „Sicherheit“, erst nach sechs Wochen eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben zu „müssen“, vielmehr die Prozesse. Sie steht einer agilen, vorausschauenden Unternehmenssteuerung eher entgegen.
❓ Was ist mit den Sonderfällen?
Natürlich wird es auch in der digitalen Welt immer Sonderfälle geben. Aber:
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Moderne Systeme können lernen bzw. verbessert und angepasst werden.
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Sonderfälle sind Ausnahmen.
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Für echte Ausnahmefälle können gezielte Fristregelungen geschaffen werden, anstatt pauschale Dauerfristverlängerungen zu nutzen.
🚀 Pflicht zur Digitalisierung – oder Chance zur Transformation?
Spätestens mit der flächendeckenden Einführung der E-Rechnung wird klar: Die Digitalisierung der Buchhaltung ist keine Option mehr. Sie ist der neue Standard. Wer heute noch zögert, verspielt nicht nur Effizienzpotenziale, sondern auch Steuerungs- und Planungssicherheit.
Die Frage, ob es die Dauerfristverlängerung noch braucht, ist damit fast rhetorisch. Viel wichtiger ist die Erkenntnis: Tagaktuelle Buchhaltung ist keine Zukunftsmusik mehr – sie ist Realität. Und sie ist der Schlüssel für moderne Unternehmensführung.
Wer seine Prozesse heute konsequent digitalisiert, vorhandene Tools nutzt und Kompetenzen aufbaut, profitiert nicht nur von Effizienz, sondern von echter Entscheidungsqualität. Und genau darum sollte es im Controlling, in der Steuerberatung und bei Unternehmern gehen.
👔 Die Rolle des Steuerberaters im Wandel
Gerade für Steuerberater verändert sich das Geschäftsfeld der Buchführung durch diese Entwicklungen grundlegend. Jahrzehntelang war die Erstellung der laufenden Finanzbuchhaltung ein wichtiges Standbein, doch heute übernehmen Systeme zunehmend die Datenerfassung und -verarbeitung.
Doch eines bleibt unverändert und ist vielleicht wichtiger denn je: das Vertrauen der Mandanten in ihren Steuerberater.
Tools können vieles: Sie buchen Belege automatisch, erkennen Muster und prüfen Plausibilitäten. Vielleicht werden sie eines Tages sogar komplexe Sachverhalte fehlerfrei abbilden können. Aber: Vertrauen entsteht nicht durch Algorithmen. Vertrauen entsteht durch Menschen.
Der Mandant vertraut nicht der Maschine, sondern seinem Steuerberater:
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Er ist die Instanz, die Ergebnisse einordnet und Verantwortung übernimmt.
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Er erkennt, wenn Daten zwar formal korrekt, aber wirtschaftlich falsch bewertet sind.
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Er übersetzt Buchungslogik in unternehmerische Entscheidungen.
Natürlich geht es auch um Haftungsfragen. Hierzu verweise ich auf den Beitrag von Dr. Remmert A. Stock „Wer haftet, wenn der Algorithmus irrt“. Gerade kleine und mittlere Mandanten, die keine eigenen Finanzabteilungen haben, brauchen diesen Partner an ihrer Seite. Der Steuerberater wird damit zum Bindeglied zwischen automatisierter Buchhaltung und echter Steuerungsberatung.
Doch damit er diese Rolle ausfüllen kann, braucht er selbst aktuelle Daten in Echtzeit. Mit veralteten Prozessen oder gar Dauerfristverlängerungen wird Beratung zum Blindflug. Mit digitalisierten, automatisierten Workflows hingegen entsteht die nötige Zeit und Qualität, um das zu tun, was wirklich zählt: Mandanten Orientierung und Sicherheit geben.
🗺️ Der Weg dorthin: Ein denkbarer Umstellungsfahrplan
Die folgenden Schritte sind ein denkbarer Vorschlag aus der Praxis. Jedes Unternehmen und jede Kanzlei hat natürlich ihre eigenen Besonderheiten und Voraussetzungen – deshalb muss der Ablauf individuell angepasst werden. Die Schritte zeigen aber, wie man strukturiert vorgehen und „tagaktuelle Buchhaltung“ Schritt für Schritt erfolgreich umsetzen kann.
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Mit Bank und Kasse starten: Als Erstes sollten Bankkonten und Kassen täglich digital eingelesen werden. Das geht automatisch über Schnittstellen zu den Banken oder mit modernen Kassenlösungen. So ist jederzeit klar, welche Zahlungen eingegangen sind und wie viel Geld verfügbar ist.
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Ausgangsrechnungen automatisch übernehmen: Rechnungen, die das Unternehmen stellt, müssen nicht mehr manuell erfasst werden. Moderne Systeme bzw. Schnittstellen übertragen sie direkt aus der Warenwirtschaft oder dem ERP in die Buchhaltung – mit allen wichtigen Daten wie Kunde, Betrag und Steuersatz.
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Eingangsrechnungen digital verarbeiten: Rechnungen von Lieferanten oder Dienstleistern kommen am besten im digitalen Format (z.B. XRechnung oder ZUGFeRD). Diese lassen sich automatisch lesen, zuordnen und verbuchen. Falls ein Lieferant noch PDFs schickt, helfen OCR-Technologien (Texterkennung), um die Daten trotzdem digital weiterzuverarbeiten.
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Einheitliche Regeln für die Steuer: Damit die Umsatzsteuer korrekt berechnet wird, sollten klare Regeln für verschiedene Geschäftsvorfälle im System hinterlegt sein. So wird automatisch die richtige Steuer ausgewiesen – egal ob Inland, EU oder Drittland.
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Automatische Buchungsroutinen für Standardfälle: Für typische Geschäftsvorfälle lohnt es sich, feste Buchungsrichtlinien im System zu hinterlegen.
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Beispiele sind regelmäßige Buchungen wie Abschreibungen, die monatlich automatisch erzeugt werden, oder die ratierliche Bildung von Rückstellungen.
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Auch wiederkehrende Geschäftsfälle (z. B. Miete, Leasing, Versicherungen) können per Vorlage automatisch gebucht werden.
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Lerndateien helfen zusätzlich, indem sie sich wiederholende Muster erkennen und die passenden Konten vorschlagen.
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Monatliche Kontrolle statt Dauerfristverlängerung: Auch wenn vieles automatisch läuft, braucht es regelmäßige Qualitätssicherung. Am besten prüft man einmal im Monat die wichtigsten Kennzahlen: stimmen Bank, Kasse und offene Posten? Ist die BWA plausibel? So bleibt die Buchhaltung zuverlässig und jederzeit aussagekräftig.
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Planung und Auswertung nutzen: Sind die Daten tagesaktuell, können Unternehmer ihre Liquidität planen, Engpässe früh erkennen und Investitionen besser steuern. Mit aktuellen Zahlen wird der Monatsabschluss zum Routinevorgang und die Unternehmensplanung realistischer.
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Schrittweise auf die Dauerfristverlängerung verzichten: Wenn die Prozesse stabil laufen und die Datenqualität stimmt, ist die Umsatzsteuer-Voranmeldung jederzeit abgabebereit. Dann kann man bewusst auf die Dauerfristverlängerung verzichten – ohne Risiko, aber mit dem Gewinn an Geschwindigkeit und Klarheit.
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Besonderheiten für Steuerberater: Steuerberater müssen dieselben Schritte auch in ihrer eigenen Kanzleisoftware konsequent umsetzen. Gleichzeitig braucht es klare Regeln für die Zusammenarbeit mit den Mandanten:
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Wer liefert welche Daten, in welchem Format und bis wann?
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Welche Buchungsroutinen übernimmt das System, welche werden durch den Steuerberater ergänzt oder geprüft?
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Wie werden Rückfragen oder Sonderfälle dokumentiert und bearbeitet?
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Gerade hier verändert sich die Zusammenarbeit: Routinen müssen neu definiert und auf digitale Abläufe angepasst werden. Das schafft Transparenz, Verbindlichkeit – und stärkt die Rolle des Steuerberaters als verlässlicher Partner.
FAZIT
Durch strukturierte digitale Prozesse und den gezielten Einsatz von KI/Automatisierung wird die Buchhaltung tagaktuell und somit zur Steuerungszentrale des Unternehmens. Die Dauerfristverlängerung war jahrelang ein sinnvolles Polster. Heute ist sie jedoch ein Prozesshemmnis. Wer den klaren Fokus setzt und die Umstellung konsequent umsetzt, gewinnt: bessere Planung, höhere Compliance, schnellere Abschlüsse und echte Entscheidungsqualität. Planung und Zukunftsgestaltung beginnen mit aktuellen Zahlen.
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