Fragen des Steuerrechts im Lichte der Digitalisierung
Am zweiten Tag der Konferenz „Digitalisierung im Steuerrecht 2025” des LMU-Zentrums für Digitalisierung des Steuerrechts (LMUDigiTax) am 9. Mai 2025 stand ein besonders facettenreicher Programmpunkt auf dem Plan. Vier Beiträge widmeten sich zentralen Fragestellungen rund um die digitale Transformation des Steuerrechts – von rechtssicheren Identifikationsmechanismen über konzeptionelle Grundlagen digitaler Identität bis hin zu KI-gestützten Gesetzgebungsverfahren und datenschutzrechtlichen Implikationen. Die Vorträge verbanden technische Praxisnähe mit verfassungsrechtlichen Würdigungen und verdeutlichten die enge Verflechtung von Steuerrecht, Technologie und Grundrechten.
A. Eindeutige Identifikation von Unternehmen in der Umsatzsteuer
Uli Weber, Tax Lead im Bereich Public Finance bei Capgemini, eröffnete den Vormittag mit einem praxisnahen Vortrag zur eindeutigen Identifikation von Unternehmen im Kontext der Umsatzsteuer. Als Umsetzungspartner der Finanzverwaltung auf Bundes- und Landesebene skizzierte er die mit der Einführung der verpflichtenden E-Rechnung im B2B-Bereich ab 2025 verbundenen Herausforderungen. Er zeigte auf, wie zentrale Authentifizierungs- und Identifizierungsdienste künftig dazu beitragen können, Unternehmen sicher und rechtskonform in digitalen Transaktionssystemen zu identifizieren. Dies betreffe insbesondere die korrekte Adressierung und Validierung von Rechnungsempfängern in einem elektronischen Meldesystem.
Anhand konkreter Beispiele zeigte Weber, welche bestehenden Identifikationsnummern für diese Zwecke geeignet sein könnten. Während die Steuernummer als länderbezogenes Verwaltungskonstrukt zu uneinheitlich ist, erfordert die USt-IdNr. eine aktive Beantragung und ist daher nicht flächendeckend vorhanden. Auch die allgemeine Steuer-ID sowie die neue Kleinunternehmer-ID wiesen jeweils rechtliche oder technische Begrenzungen auf. Als derzeit aussichtsreichste Lösung stellte Weber die Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr.) vor, die ab Ende 2024 sukzessive vergeben wird. Sie eigne sich besonders aufgrund ihres einheitlichen Aufbaus, ihrer automatischen Zuteilung an wirtschaftlich tätige Subjekte sowie ihrer Anschlussfähigkeit an Systeme wie „Mein Unternehmenskonto”, „Elster” oder auch „Peppol”.
Weber betonte, dass die W-IdNr. nicht nur zur internen Organisation in der Finanzverwaltung beiträgt, sondern auch eine zentrale Voraussetzung für eine sichere Infrastruktur digitaler Rechnungsprozesse ist. In Kombination mit den geplanten E-Wallet-Lösungen der eIDAS-Verordnung könnte ein interoperabler Standard für Identifizierung und Authentifizierung im europäischen B2B-Kontext entstehen. Damit würde ein wichtiger Grundstein für den digitalen Besteuerungsvollzug gelegt.

B. Digitale Identität als Voraussetzung des digitalen Besteuerungsvollzugs
Prof. Dr. Markus Büch, Professor für Recht an der Staatliche Studienakademie Dresden der Dualen Hochschule Sachsen, näherte sich dem Thema „Digitale Identität” aus einer grundsätzlichen, interdisziplinären Perspektive. In seinem Vortrag arbeitete er heraus, dass der Begriff der digitalen Identität bislang weder technisch noch rechtlich eindeutig definiert ist – und dennoch zunehmend als zentrales Element für Verwaltungs- und Besteuerungsprozesse dient. Er stellte klar, dass die Digitalisierung des Besteuerungsvollzugs nicht nur technische, sondern auch tiefgreifende normative Implikationen hat. Insbesondere sei zu hinterfragen, inwieweit die Einführung digitaler Identifizierungsmechanismen mit den Grundprinzipien des Rechtsstaats vereinbar ist.
Büch analysierte die semantische Vieldeutigkeit des Begriffs „digital“, der im juristischen und im gesellschaftlichen Diskurs unterschiedlich interpretiert wird. Während in der Informatik „digital“ auf binäre Codierungen verweist, kann die Verwaltung damit ebenso die Abkehr vom Papierbetrieb meinen. Auch die Frage, was eine „Identität“ im digitalen Raum ausmache, werde unterschiedlich beantwortet. Eine Person kann im Internet zahlreiche digitale Identitäten haben, die nicht zwingend an das reale Subjekt gebunden sind. Die eIDAS-Verordnung versucht zwar, technische Lösungen zur Identifizierung bereitzustellen, definiert aber nicht, was eine digitale Identität im rechtlichen Sinne ist.
Es wurde betont, dass der Staat durch die Etablierung einer verpflichtenden E-Wallet-Lösung im Grunde selbst zum Konstitutionsfaktor rechtlicher Identität wird. Dies ist mit dem klassischen Selbstverständnis staatlicher Neutralität schwer zu vereinbaren. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, ob ein Recht auf analoge Verwaltungszugänge weiterhin gewährleistet sein muss oder ob eine digitale Pflichtidentität eingeführt wird. Auch der Schutz der Anonymität sowie die Möglichkeit zur pseudonymisierten Interaktion mit staatlichen Stellen müssen neu verhandelt werden. Prof. Büch warnte eindrücklich vor einer technologischen Überformung des rechtlichen Diskurses und forderte eine normative Rückbindung technischer Entwicklungen an verfassungsrechtliche Prinzipien.
C. Werkstattbericht zur digitalen Gesetzgebung mit KI
Matthias Grabmair, Assistant Professor für Legal Tech an der Fakultät für Informatik der Technischen Universität München (TUM), und Mitglieder der Legal Tech Arbeitsgruppe der TUM – Andreas Schultz und Melanie Pospisil – präsentierten mit „LegisLLM” ein innovatives Pilotprojekt zur KI-gestützten Unterstützung gesetzgeberischer Prozesse. Der Werkstattbericht lieferte einen praxisnahen Einblick in die Frage, wie Large Language Models (LLMs) künftig im Rahmen der Rechtssetzung eingesetzt werden könnten – nicht als Ersatz für menschliche Entscheidungen, sondern als digitale Assistenzinstanz zur Strukturierung und Vorbereitung komplexer Gesetzgebungsabläufe.
Ausgangspunkt war eine qualitative Interviewstudie mit erfahrenen Legistinnen und Legisten auf Bundes- und Landesebene. Diese bestätigten den enormen Zeitdruck bei der praktischen Normsetzung, die hohe Fragmentierung des Fachwissens über Ressorts hinweg sowie den bisher geringen Digitalisierungsgrad der Arbeitsprozesse. An diesen Stellen soll LegisLLM ansetzen und einen strukturierenden Rahmen bieten. Der Prototyp wurde so konzipiert, dass er Regelungsaufträge sprachlich analysieren, relevante Normen recherchieren, Regelungsalternativen vorschlagen, Argumente abwägen und schließlich eine konsolidierte Entwurfsfassung erzeugen kann. Die zentrale Stärke des Systems liegt in der systematischen Verknüpfung formaler Anforderungen und inhaltlicher Begründungselemente.
Anhand eines Demonstrationsbeispiels zur steuerlichen Behandlung von Überstundenzuschlägen zeigte das Team live, wie ein KI-gestützter Entwurf entstehen kann. In einer Weiterentwicklung sollen rechtliche Rahmenbedingungen noch stärker eingebunden werden, beispielsweise durch die Anbindung einer stets aktuellen Rechtsnormendatenbank, den Aufbau eines semantischen Wissensgraphen und die Integration formaler Prüfmechanismen wie dem Digitalcheck. Ziel ist es, ein System zu schaffen, das juristisch belastbare Textvorschläge liefert, dabei aber stets auf menschliche Bewertung angewiesen bleibt. Der Vortrag vermittelte eindrucksvoll, welches Potenzial in der intelligenten Verknüpfung juristischer Expertise und KI-Technologie liegt – insbesondere, wenn der Einsatz nicht blind automatisiert, sondern bewusst gesteuert wird.

D. Datenschutzrechtliche Perspektiven auf die Digitalisierung im Steuerrecht
Prof. Dr. Boris Paal, Professor for Law and Regulation of the Digital Transformation an der School of Social Sciences and Technology (SOT), schloss den Abschnitt mit einer fundierten Analyse der datenschutzrechtlichen Herausforderungen, die mit der fortschreitenden Digitalisierung des Steuerrechts einhergehen. Im Zentrum seines Vortrags standen Fragen zur Vereinbarkeit automatisierter Verwaltungsprozesse mit den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Nutzung digitaler Identifikationslösungen und KI-basierter Entscheidungssysteme.
Paal betonte, dass die DSGVO uneingeschränkt auch im Steuerrecht gelte – unabhängig davon, ob eine Steuerveranlagung durch menschliche Sachbearbeiter oder automatisiert über Algorithmen erfolge. Dies sei in der Praxis insbesondere für Artikel 15 DSGVO relevant, der einen umfassenden Auskunftsanspruch über die Verarbeitung personenbezogener Daten gewährt. Gerade in der automatisierten Steuerfestsetzung könne dies zu erheblichen Belastungen der Verwaltung führen. Auch Artikel 22 DSGVO, der das Verbot ausschließlich automatisierter Entscheidungen regelt, sei betroffen, beispielsweise im Kontext von Risikobewertungen oder Scoring-Verfahren, die ohne menschliche Zwischenschritte erfolgen. In diesem Zusammenhang verwies Paal auf die jüngste EuGH-Rechtsprechung im Schufa-Urteil, das Grundsatzfragen der maschinellen Entscheidungsfindung aufgeworfen hat.
Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrags war das Verhältnis zwischen Steuergeheimnis und Datenschutz. Paal machte deutlich, dass das Steuergeheimnis gemäß § 30 AO weiterhin Vorrang vor den allgemeinen Privilegierungen der DSGVO hat – insbesondere, wenn es um die Weitergabe von Informationen innerhalb der Verwaltung geht. Die derzeitigen Regelungslücken bei der technischen Umsetzung datenschutzrechtlicher Anforderungen seien jedoch nicht länger hinnehmbar. Digitale Plattformlösungen müssten so konzipiert werden, dass sie von Anfang an datenschutzkonform agieren können. Dies gelte für das Identitätsmanagement ebenso wie für Transparenz, Zweckbindung und Speicherbegrenzung.
Paal übte deutliche Kritik an pauschalen Formulierungen in aktuellen Gesetzesinitiativen, nach denen die DSGVO „unberührt“ bleibe. Diese Aussagen vernachlässigten die faktischen Überschneidungen zwischen digitaler Verwaltung, KI-Einsatz und Datenschutzrecht. Er plädierte für eine rechtsdogmatisch klare und technisch fundierte Weiterentwicklung des Normbestands. Nur wenn Datenschutz als integraler Bestandteil der Digitalisierungsstrategie verstanden wird, kann Vertrauen in digitale Verfahren entstehen – gerade im steuerrechtlichen Kontext, in dem besonders sensible Daten verarbeitet werden.
FAZIT
Digitalisierung des Steuerrechts als interdisziplinäre Herausforderung
In der anschließenden Diskussion wurden die verschiedenen Fragen, die in den Vorträgen aufgeworfen wurden, zusammen mit Frau Dr. Julia Fitzner, Senior Managing Expert bei PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH, vertiefend erörtert. Dabei wurde deutlich, dass die Digitalisierung eine Herausforderung für Juristen, Informatiker, Wissenschaftler und Praktiker bleiben wird. Nur eine rechtssichere Umsetzung bildet das Fundament für einer vertrauensvolle Digitalisierung im Steuerrecht.
Der Themenblock „Aktuelle Fragen des Steuerrechts im Lichte der Digitalisierung“ hat eindrucksvoll gezeigt, wie vielfältig und komplex die Herausforderungen auf dem Weg zu einer digitalen Steuerwelt sind. Trotz unterschiedlicher Perspektiven verband alle Beiträge ein zentrales Motiv: Die Transformation des Steuerrechts ist nicht nur eine technische, sondern auch eine rechtliche, gesellschaftliche und ethische Aufgabe. Benötigt werden nicht nur Infrastruktur und Systeme, sondern auch tragfähige normative Grundlagen, um Vertrauen und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Die Beiträge verdeutlichten, dass technologische Innovation und rechtsstaatliche Prinzipien kein Widerspruch sind, sondern ein Spannungsfeld bilden, das bewusst gestaltet werden muss. Digitalisierung im Steuerrecht bedeutet mehr als Automatisierung: Sie verlangt Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Normentreue. Die LMUDigiTax-Konferenz lieferte hierfür wertvolle Impulse – sowohl durch ihre Themenwahl als auch durch die Verbindung von Praxiswissen und wissenschaftlicher Reflexion.
DATENANALYSE
Datenanalysen helfen Muster in Finanzdaten zu erkennen, steuerliche Optimierungen vorzunehmen und fundierte Entscheidungen zu treffen.
DATENVISUALISIERUNG
Die richtige Datenvisualisierung-Software hilft dabei, komplexe Informationen verständlich aufzubereiten und fundierte Entscheidungen zu treffen.
INTERNE KONTROLLSYSTEME (IKS)
Diese Systeme tragen dazu bei, Fehler und Unregelmäßigkeiten frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren.
BETRIEBSPRÜFUNG (BP)
Spezielle Software-Lösungen bieten gezielte Unterstützung bei den Herausforderungen einer Betriebsprüfung.
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ (KI)
Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert zahlreiche Branchen, und die Steuerberatung ist keine Ausnahme.
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